Lilien im Sommerwind
Frühstück her. »Er sieht aus wie großer alter Bär, nicht wahr? Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie tüchtig er ist. Vor über vierzig Jahren hat er seine eigene Firma gegründet. Vor ungefähr fünf Jahren ist seine Frau gestorben, ich kannte sie flüchtig. Jetzt zieht er sich langsam aus dem Betrieb zurück. Zwei seiner Söhne führen die Firma. Er hat sechs Enkel.«
»Sechs?«
»Ja. Einer von ihnen ist übrigens Arzt. Gut aussehender junger Mann. Ich habe schon mal gedacht ...«
»Hör sofort auf.« Tory kniff die Augen zusammen und häufte sich Gelee auf ihren Toast. »Ich habe kein Interesse.«
»Woher willst du das wissen? Du kennst den Jungen ja noch nicht einmal.«
»Ich bin weder an Jungen noch an Männern interessiert.«
»Tory, du warst nicht mehr mit einem Mann zusammen, seit...«
»Jack«, beendete Tory den Satz für sie. »Das stimmt, und ich habe auch nicht vor, jemals wieder eine Beziehung einzugehen. Eine hat mir gereicht.« Tory hatte immer noch einen bitteren Geschmack im Mund, wenn sie daran dachte. Sie griff nach ihrer Teetasse. »Nicht alle Menschen sind für eine Partnerschaft geeignet, Gran. Ich bin auch allein glücklich.«
Als Iris die Augenbrauen hochzog, zuckte Tory mit den Schultern. »Na gut, sagen wir, ich habe vor, allein glücklich zu sein. Und ich werde mein Möglichstes tun, um das zu erreichen.«
3
Es war schon viel zu lange her, seit sie im Schaukelstuhl auf einer Veranda gesessen, in den Himmel geblickt und dem Zirpen der Grillen gelauscht hatte. Tory war schon lange nicht mehr so entspannt gewesen, dass sie einfach dasitzen und die Luft genießen konnte.
Und es würde wahrscheinlich lange dauern, ehe sie es erneut tun konnte.
Morgen musste sie die letzten Meilen nach Progress fahren. Dort würde sie die einzelnen Stücke ihres Lebens zusammensuchen und endlich eine alte Freundin zur Ruhe tragen.
Aber heute Abend gab es nur die laue Luft und stille Gedanken.
Als die Tür knarrte, blickte sie auf und lächelte Cecil entgegen. Großmutter hat Recht, dachte sie. Er sah wirklich wie ein großer alter Bär aus. Und im Moment wirkte er ziemlich nervös.
»Iris hat mich aus der Küche geworfen.« Er hielt eine dunkelbraune Bierflasche in der Hand und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Sie hat gemeint, ich soll Ihnen ein Weilchen Gesellschaft leisten.«
»Sie möchte, dass wir Freunde werden. Warum setzen Sie sich nicht einen Moment? Ich fände es schön, wenn Sie mir Gesellschaft leisteten.«
»Ich komme mir ein bisschen komisch vor.« Cecil setzte sich neben Tory und warf ihr einen verstohlenen Blick zu. »Ich weiß, was Ihr jungen Leute denkt. Ein alter Kerl wie ich macht einer Frau wie Iris den Hof.«
Er roch immer noch nach der Lavaseife, mit der er vor dem Abendessen den Abwasch gemacht hatte. Lavaseife und Coors, dachte Tory. Es war eine angenehm männliche Mischung. »Ist Ihre Familie nicht mit der Verbindung einverstanden?«
»O doch, sie kommen inzwischen alle gut damit klar. Iris hat meine Jungen um den Finger gewickelt. Das kann sie unheimlich gut. Einer meiner Söhne, Jerry, hat einen ziemlichen Aufstand gemacht, aber sie ist mit ihm fertig geworden. Es ist nur ...«
Er räusperte sich. Tory faltete die Hände und musste sich ein Grinsen verkneifen, da er zu einer offenbar vorbereiteten Rede ansetzte.
»Sie sind mächtig wichtig für sie, Tory. Sie sind für Iris wahrscheinlich das Allerwichtigste auf der Welt. Sie ist stolz auf Sie, sie macht sich Sorgen um Sie und sie gibt mit Ihnen an. Ich weiß, dass sie sich mit Ihrer Mam nicht so gut versteht. Vermutlich sind Sie deshalb etwas ganz Besonderes für sie.«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit.«
»Ich weiß. Ich habe es beim Abendessen gemerkt. Es ist nur ...«, sagte er wieder und nahm einen tiefen Schluck aus seiner Bierflasche. »Oh, zum Teufel! Ich liebe sie«, sprudelte er hervor und wurde rot. »Das klingt wahrscheinlich albern bei einem Mann, der über die fünfundsechzig schon hinaus ist, aber ...«
»Warum sollte es albern klingen?« Tory berührte andere Menschen nicht gern, aber da er es jetzt offensichtlich brauchte, tätschelte sie ihm das Knie. »Was hat denn das Alter damit zu tun? Gran mag Sie. Das allein ist für mich schon Grund genug.«
Man sah Cecil die Erleichterung förmlich an. Er seufzte auf. »Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas noch einmal empfinde. Ich war sechsundvierzig Jahre mit einer wundervollen Frau verheiratet. Wir sind zusammen
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