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Lilien im Sommerwind

Lilien im Sommerwind

Titel: Lilien im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Rangordnung der Geschwister ganz unten, an dritter Stelle kam. Cade war der Erbe. Außerdem hatte er einen Penis und ich nicht. Das war zwar nicht seine Schuld, aber ich beneidete ihn darum. Solange jedenfalls, bis ich lernte, dass eine Frau die Möglichkeit hat, so viele von diesen interessanten Anhängseln zu besitzen, wie sie will.
    Ich habe früh mit dem Sex angefangen und ihn immer ohne Reue genossen.
    Mit acht Jahren lagen allerdings die sexuellen Konnotationen von Männern und Frauen für mich noch im Nebel. Ich wusste nur, dass Cade auf seine Rolle als Herr von Beaux Reves vorbereitet wurde, weil er ein Junge war, und das gefiel mir gar nicht. Er bekam Privilegien, die mir versagt blieben, und das nur wegen seines Geschlechts. Und vermutlich auch, weil er vier Jahre älter war als ich.
    Mein Vater war so stolz auf ihn. Sicher - er verlangte auch eine Menge von Cade, aber der Ausdruck in Papas Augen, sein Tonfall, seine ganze Körperhaltung verrieten seinen Stolz. Vater und Sohn. Ich konnte nie sein Sohn sein.
    Und ich konnte auch nicht sein Engel sein, wie Hope es war. Er vergötterte sie. Er liebte mich und er war ein gerechter Mann. Aber es war offensichtlich, dass sein Herz und seine Hoffnungen Hope und Cade gehörten. Ich war nur eine Art Draufgabe, der Zwilling , der im Gefolge seines Engels kam.
    Auch für meine Mutter war Cade eine Quelle des Stolzes. Sie hatte einen Sohn geboren, wie es von ihr erwartet wurde. Der Name Lavelle würde nicht aussterben, weil sie einen männlichen Erben zur Welt gebracht hatte. Sie war sicher froh darüber, dass sich mein Vater die meiste Zeit mit ihm beschäftigte. Was verstand sie schon von Jungen? Ich frage mich, ob Cade diese leise Distanz gespürt hat. Wahrscheinlich, aber irgendwie ist er trotzdem ein bewundernswerter Mann geworden.
    Vielleicht auch gerade deswegen.
    Natürlich hat Mama ihm Manieren beigebracht, darauf geachtet, dass er sauber war, aber seine Erziehung, seine Zeit, seine Stellung im Leben waren Papas Aufgabe. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie Papa jemals nach Cade gefragt hätte.
    Hope war Mamas Belohnung dafür, dass sie ihre Sache gut gemacht hatte. Die Tochter, die sie formen konnte, das Kind, das sie von Anfang an bis zu einer passenden Ehe begleiten konnte. Sie liebte Hope wegen ihrer Gefügigkeit und ihrer süßen Art.
    Die Rebellin in ihr sah sie nie. Wäre Hope am Leben geblieben, hätte sie sicher genau das getan, was sie wollte, und irgendwie wäre es ihr gelungen, Mama davon zu überzeugen, dass sie sich ihrem Willen beugte.
    Sie hat sie auch mit Tory hintergangen. Sie konnte Mama mit allem hintergehen.
    O Gott, ich vermisse sie. Ich vermisse meine helle, fröhliche Hälfte. Ich vermisse sie über die Mafien.
    Ich war eine Strafe für Mama. Wie oft habe ich sie das sagen hören, also muss es ja stimmen. Ich war nicht so lieb wie Hope, so gefügig. Ich stellte Fragen und kämpfte erbittert um Dinge, aus denen ich mir eigentlich gar nichts machte.
    Nehmt mich zur Kenntnis. Verdammt noch mal. Nehmt mich zur Kenntnis.
    Ein Jahr vor jenem Sommer freundete Hope sich mit Tory an. Sie fühlten sich einfach zueinander hingezogen. Selbst ich konnte sehen, wie gut sie zusammenpassten. Und vom ersten Moment an waren sie unzertrennlich. Als wären sie Zwillinge, nicht meine Schwester und ich.
    Allein schon aus diesem Grund mochte ich Victoria Bodeen nicht. Ich rümpfte die Nase über ihre schmutzigen Füße und ihre schlechte Aussprache, über ihre großen, aufmerksamen Augen und ihre asozialen Eltern. Aber nur, weil sie mit Tory so eng befreundet war.
    Ich machte mich so oft wie möglich über sie lustig und ignorierte sie die übrige Zeit. Zumindest tat ich so, denn tatsächlich beobachtete ich sie und Hope wie ein Falke. Ich suchte nach den geringsten Anzeichen dafür, dass ihre Freundschaft einen Riss aufwies, damit ich ihn vergrößern und sie auseinander bringen konnte.
    An jenem Tag, an dem Hope starb, spielten sie zusammen vor unserem Haus, weil es Hope streng verboten war, zu Tory zu gehen. Natürlich tat sie es trotzdem heimlich, aber die meiste Zeit verbrachten die beiden auf Beaux Reves oder im Sumpf.
    Mama wusste nichts vom Sumpf. Sie hätte es sicherlich nicht gebilligt. Aber wir gingen alle dorthin, um zu spielen. Papa wusste Bescheid, und er bat uns nur, nicht im Dunkeln dorthin zu gehen.
    Vor dem Abendessen spielte Hope auf der Veranda Jacks. Ich bestrafte sie, indem ich nicht mitspielte. Als ihr dies jedoch anscheinend nicht

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