Lilien im Sommerwind
die Freude am Spiel verdarb, zog ich mich schmollend auf mein Zimmer zurück und kam erst wieder herunter, als man mich zum Abendessen rief.
Ich hatte keinen Hunger und war immer noch schlecht gelaunt, weil Hope meine Wut auf sie so gleichmütig hingenommen hatte. Deshalb ließ ich meinen Ärger an den Erbsen aus - allerdings glaube ich heute noch, dass ich damals im Recht war -, und der Abend endete damit, dass meine Mutter mich zurechtwies und auf mein Zimmer schickte.
Ich hasste es, wenn man mich vom Tisch wegschickte. Ich machte mir zwar nicht besonders viel aus Essen, aber es war wie eine Verbannung. Ein Therapeut würde wahrscheinlich sagen, dass das für mich der Be w eis war, dass ich nicht so wie mein Bruder und meine Schwester zur Familie gehörte. Ich war der Außenseiter, der einerseits seine Unabhängigkeit genoss und sich andererseits verzweifelt danach sehnte, dazu zu gehören.
Ich ging also auf mein Zimmer, als ob ich sowieso nichts anderes gewollt hätte. Das sollten sie denken, und ich wollte auf gar keinen Fall, dass sie mir meine Wut und Verlegenheit anmerkten.
Ein kleines Häufchen Erbsen war also wichtiger als ich.
Ich legte mich aufs Bett, starrte an die Decke und ergab mich meinem Selbstmitleid. Eines Tages, dachte ich, eines Tages bin ich so frei, wie ich will. Niemand wird mich aufhalten. Ich werde reich, berühmt und wunderschön sein. Ich hatte keine klare Vorstellung, wie ich das erreichen wollte, aber es war mein Ziel. Ich sah Geld, Ruhm und Schönheit als eine Art Preis an, den ich erringen würde, während die anderen hier auf Beaux Reves in den Traditionen und Zwängen gefangen blieben.
Ich überlegte, ob ich weglaufen sollte, vielleicht zu meiner Tante Rosie. Das würde meine Mutter bestimmt treffen, da sie ihre Schwester Rosie peinlich fand.
Aber eigentlich wollte ich nicht weg. Ich wollte, dass sie mich liebten, und dieser vergebliche Wunsch war mein Gefängnis.
Später hörte ich Musik aus dem Zimmer meiner Mutter. Sie saß bestimmt in ihrem Wohnzimmer, schrieb Briefe, antwortete auf Einladungen und plante die Speisenfolge für den nächsten Tag. Pflichten der Herrin von Beaux Reves. Mein Vater war sicher in seinem Turmbüro, studierte die Abrechnungen und trank in aller Ruhe ein Glas Bourbon.
Lilah brachte mir verstohlen etwas zu essen, ohne Erbsen. Sie umschmeichelte und liebkoste mich nicht, aber allein die Tatsache, dass sie an mich dachte, rührte mich. Gott segne sie, sie war immer da, beständig wie ein Fels und voller Wärme.
Ich aß, weil sie mir das Essen gebracht hatte. Danach lag ich einfach da, während es im Zimmer dunkel wurde. Ich stellte mir vor, wie Mama Hopes Haare bürstete, was sie jeden Abend nach dem Baden tat. Sie hätte auch meine gebürstet, aber ich wollte nie still sitzen. Danach ging Hope zu Papa hinauf, um ihm gute Nacht zu sagen. Und während sie tat, was von ihr erwartet wurde, plante sie insgeheim ihre Rebellion.
Ich hörte, wie sie den Flur entlangkam und vor meiner Tür stehen blieb. Ich wünschte, ich wäre aufgestanden, hätte die Tür geöffnet und sie gebeten, mir Gesellschaft zu leisten. Vielleicht wäre dann ja alles anders gekommen. Vielleicht hätte sie mir aus Mitleid erzählt, was sie vorhatte. So, wie ich mich fühlte, wäre ich vielleicht mitgegangen, einfach nur, um meiner Mutter eins auszuwischen. Dann wäre sie nicht allein gewesen.
Aber ich blieb stur und eigensinnig im Bett liegen und hörte sie weitergehen.
Ich wusste nicht, dass sie das Haus verlassen wollte. Ich hätte jederzeit aus meinem Fenster blicken und sie sehen können. Aber ich tat es nicht. Stattdessen starrte ich finster in die Dunkelheit und schlief schließlich ein.
Und während ich schlief, starb sie.
Ich spürte nicht, wie unser Band zerschnitten wurde, was man von Zwillingen oft behauptet. Ich hatte keine Vorahnungen oder Albträume. Ich spürte weder ihre Schmerzen noch ihre Angst. Ich schlief einfach, wie die meisten Kinder, tief und sorglos, während meine Zwillingsschwester alleine starb.
Tory jedoch empfand die Schmerzen und die Angst. Ich glaubte es damals nicht, wollte es nicht glauben. Hope war meine Schwester, nicht ihre. Wie konnte sie es wagen zu behaupten, dass sie ihr so nahe war? Wie die meisten anderen zog ich es vor zu glauben, dass Tory ebenfalls im Sumpf gewesen war, dass sie weggelaufen war und Hope mit dem Entsetzen allein gelassen hatte.
Ich glaubte das, obwohl ich sie am nächsten Morgen sah. Sie humpelte unsere Auffahrt
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