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Lilien im Sommerwind

Lilien im Sommerwind

Titel: Lilien im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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entlang, ganz früh am Morgen. Sie ging wie eine alte Frau, als ob jeder Schritt sie Überwindung kostete. Cade öffnete ihr die Tür, aber ich war auf Zehenspitzen oben an die Treppe geschlichen. Ihr Gesicht war totenbleich, ihre Augen riesig.
    Sie sagte: Hope ist im Sumpf. Sie konnte nicht weglaufen, und er hat ihr wehgetan. Du musst ihr helfen.
    Ich glaube, Cade bat sie höflich herein, aber sie setzte keinen Fuß über die Schwelle. Also ließ er sie da stehen, und während ich zurück in mein Zimmer rannte, sah er in Hopes Zimmer nach. Danach ging alles sehr schnell. Cade rannte wieder die Treppe hinunter und rief nach Papa. Mama lief auch hinunter. Alle redeten durcheinander und niemand achtete auf mich. Mama packte Tory an der Schulter, schüttelte sie und schrie sie an. Und Tory stand nur da, wie eine zerschlissene Lumpenpuppe.
    Schließlich zog Papa Mama weg und sagte ihr, sie solle die Polizei anrufen. Dann stellte er Tory Fragen, wobei seine Stimme zitterte. Sie erzählte ihm, was sie und Hope vorgehabt hatten und dass sie nicht hätte kommen können, weil sie gefallen sei und sich verletzt habe. Aber Hope sei hingegangen und jemand habe sie überfallen. All das sagte sie in dem monotonen, ruhigen Tonfall einer Erwachsenen. Und die ganze Zeit über sah sie Papa unverwandt an und sagte, sie könne ihn zu Hope führen.
    Später erfuhr ich, dass sie genau das auch tat. Sie führte Papa und Cade und später auch die Polizei durch den Sumpf zu Hope.
    Das Leben war auf einmal für uns alle anders geworden.
     
    Faith ließ den Block sinken und lehnte sich auf der Bank zurück. Die Vögel zwitscherten, und der schwere Duft feuchter Erde und üppig blühender Blumen umgab sie. Sonnenstrahlen fielen durch das dichte Blätterdach der Bäume und malten goldene Muster in das dunkle Grün.
    Die Marmorstatue ragte empor, schweigend, ewig lächelnd, ewig jung.
    Es sieht Papa so ähnlich, das Schreckliche mit dem Schönen zu überdecken, dachte sie.
    Ob er wohl diese Frau mit hierher genommen hatte? Hatte die Frau, der er sich zuwandte, nachdem er seiner Familie den Rücken gekehrt hatte, hier mit ihm gesessen, während er an sein Kind dachte und um es trauerte?
    Warum hat er mich nie mitgenommen?
    Faith legte das Notizbuch beiseite und nahm sich eine Zigarette.
    Die Tränen trafen sie unvorbereitet. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass sie überhaupt da waren, darauf warteten, vergossen zu werden. Für Hope, für ihren Vater, für sich selbst. Sie weinte um verschwendete Leben und Träume. Um verschwendete Liebe.
    Tory blieb an einem Beet mit Impatiens stehen. Der stille Park war ein Schock. Früher war hier alles nur grün, wild und dunkel gewesen.
    Dort stand Hope, für immer zu Stein erstarrt.
    Und dort saß Faith und weinte.
    Tory empfand Unbehagen, zwang sich aber, auf die Bank zuzutreten, voller Angst vor den Bildern, die sie vielleicht jetzt sehen würde. Sie setzte sich hin und wartete.
    »Ich komme normalerweise nicht hierher.« Faith zog ein Papiertaschentuch hervor und putzte sich die Nase. »Daran liegt es vermutlich. Ich weiß nicht, ob es ein schrecklicher oder ein schöner Ort ist. Ich kann mich nie entscheiden.«
    »Man braucht Mut, um aus etwas Schrecklichem etwas Friedliches zu machen.«
    »Mut?« Faith stopfte das Taschentuch wieder in ihre Tasche und zündete ihre Zigarette an. »Du hältst das für mutig?«
    »Ja. Diesen Mut hätte ich nicht gehabt. Dein Vater war ein guter Mann. Er war immer sehr nett zu mir. Selbst nachdem ...« Sie presste die Lippen zusammen. »Selbst danach war er nur nett zu mir. Es ist bestimmt nicht leicht gewesen.«
    »Er hat uns auf emotionaler Ebene im Stich gelassen, wie die Psychologen sagen würden. Er hat uns für seine tote Tochter verlassen.«
    »Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Keiner von uns hat jemals den Tod eines Kindes verkraften müssen. Wir können nicht wissen, wie wir damit umgehen würden, oder was wir täten, um den Verlust zu überleben.«
    »Ich habe eine Schwester verloren.«
    »Ich auch«, erwiderte Tory leise.
    »Ich mag es nicht, wenn du das sagst. Und es gefällt mir noch viel weniger, dass es stimmt.«
    »Erwartest du von mir, dass ich dir das zum Vorwurf mache?«
    »Ich weiß nicht, was ich von dir erwarte.« Seufzend griff Faith nach der Kühltasche, die sie neben die Bank gestellt hatte. »Ich habe eine schöne große Kanne mit Margaritas mitgebracht. Ein guter Drink für einen warmen Sommerabend.«
    Sie goss die limonengrüne

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