Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lilien im Sommerwind

Lilien im Sommerwind

Titel: Lilien im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
deutlich sah.
    Kincade Lavelle. Hopes Bruder. Hätte sie ihn erkannt? Nein, wahrscheinlich nicht. Sie erinnerte sich an einen dünnen Jungen mit einem weichen Gesicht. Dieser Mann hier war schlaksig, aber muskulös. Er hatte die Ärmel seines blauen Arbeitshemdes hochgekrempelt, und Tory sah die Muskeln an seinen Unterarmen. Doch obwohl er unbekümmert lächelte, war an seinem Gesicht nichts Weiches mehr.
    Seine Haare waren dunkler als früher, sie hatten die Farbe von Walnüssen, und die Spitzen waren von der Sonne gebleicht. Er war schon immer gern draußen gewesen, daran konnte sich Tory erinnern. Er war früher manchmal mit seinem Vater durch die Felder spaziert, in einer stolzen Haltung, an der man merkte, wie bewusst es ihm war, dass ihm das Land gehörte.
    Die Augen. An den Augen hätte sie ihn vielleicht erkannt. Sie waren von dem gleichen tiefen Sommerblau wie Hopes Augen. Auch dort hatte die Sonne ihre Spuren hinterlassen und zahlreiche winzige Fältchen um die Augen eingegraben. Die Art von Falten, die einem Mann Charakter verliehen und eine Frau zur Verzweiflung brachten, dachte Tory.
    Diese Augen musterten sie jetzt mit einer trägen Geduld, die sie sicher verlegen gemacht hätte, wenn ihr nicht immer noch vor Angst das Herz geklopft hätte.
    »Es ist lange her«, brachte sie hervor.
    »Fast ein halbes Leben lang.« Er streckte ihr nicht die Hand entgegen. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie nur zurückzucken würde und sie dann beide verlegen wären. Also steckte er die Daumen in die Taschen seiner Jeans.
    »Sollen wir auf die Veranda gehen und uns ein bisschen dort hinsetzen? Es sieht so aus, als wäre der alte Schaukelstuhl das einzige Sitzmöbel, das wir im Moment zur Verfügung haben.«
    »Es geht mir gut. Alles in Ordnung.«
    Sie war bleich wie der Tod, mit diesen großen, glänzenden, weichen grauen Augen, die ihn schon immer fasziniert hatten. Da er in einem Haushalt aufgewachsen war, der größtenteils von Frauen beherrscht wurde, wusste er, wie er mit dem kleinstmöglichen Aufwand an Energie mit weiblichem Stolz und Launen umgehen musste. Also wandte er sich einfach um und stieß die Tür wieder auf.
    »Stickig hier drin«, sagte er und hielt ihr die Tür auf.
    Da Tory keine andere Wahl hatte, trat sie auf die Veranda hinaus. Er roch ihren Duft und musste an den Jasmin denken, der nachts im Garten seiner Mutter blühte.
    »Das muss schon eine besondere Erfahrung sein...«Er berührte sie leicht am Arm, um sie hinauszugeleiten. »Hierhin zurückzukommen.«
    Tory zuckte zwar nicht zurück, entzog sich ihm aber mit einer raschen, entschlossenen Bewegung. »Ich musste irgendwo wohnen und wollte mich rasch einrichten.« Der Knoten in ihrem Magen löste sich nicht. Sie machte nicht gern mit Männern Konversation. Man wusste nie genau, was hinter den leichten Worten und dem netten Lächeln lag.
    »Du hast eine ganze Weile in Charleston gewohnt. Das Leben hier ist sehr viel ruhiger.«
    »Ich freue mich auf die Ruhe.«
    Cade lehnte sich gegen das Geländer. Es lag eine gewisse Schärfe in ihrer Antwort, wie er fand. Es war seltsam, aber genau daran erinnerte er sich bei ihr am besten: an ihre Zerbrechlichkeit, scharf wie die Schneide eines Skalpells.
    »Es gibt viel Gerede über deinen Laden.«
    »Das ist gut.« Sie lächelte, ihre Augen jedoch blieben ernst und wachsam. »Gerede bedeutet Neugier, und Neugier bringt die Leute in den Laden.«
    »Hattest du in Charleston auch ein Geschäft?«
    »Ich habe eins geleitet. Aber es ist etwas anderes, wenn es einem gehört.«
    »Das stimmt.« Beaux Reves gehörte jetzt ihm, und es war wirklich etwas anderes, wenn es einem gehörte. Cade blickte über die Felder, auf denen die Saat und die Schösslinge sich der Sonne entgegenreckten. »Wie sieht es hier für dich aus, Tory? Nach all dieser Zeit?«
    »Genauso wie immer.« Sie schaute nicht auf die Felder, sondern sah ihn an. »Und trotzdem ganz anders.«
    »Das Gleiche habe ich von dir gedacht. Du bist erwachsen geworden.« Er sah, wie sie ihre Finger um die Stuhllehne krampfte, als ob sie sich festhalten müsste. »Du bist in deine Augen hineingewachsen. Du hast immer schon die Augen einer Frau gehabt. Als ich zwölf war, haben sie mich verhext.«
    Tory brauchte all ihren Stolz und ihre Willenskraft, um seinem Blick standzuhalten. »Als du zwölf warst, warst du viel zu sehr damit beschäftigt, mit meinem Vetter Wade und Dwight - Dwight Frazier - durch die Gegend zu rennen, als dass du mir überhaupt Beachtung

Weitere Kostenlose Bücher