Lilien im Sommerwind
befassen.
Bis zu dem Morgen, jenem schrecklichen Morgen im August, als sie mit ihrer blau angeschwollenen Wange und den großen, erschreckten Augen an die Tür gekommen war. Von diesem Moment an hatte er jedes Detail an ihr zur Kenntnis genommen. Und er hatte nichts vergessen.
Er machte es zu seiner Sache, alles über Tory zu erfahren - wohin sie gegangen war, was sie getan hatte, wer sie gewesen war, lange, nachdem sie Progress verlassen hatte.
So hatte er fast auf die Stunde genau gewusst, wann sie anfing, Pläne für ihre Heimkehr zu schmieden.
Und doch war er nicht darauf vorbereitet gewesen, sie in diesem leeren Zimmer stehen zu sehen, mit leichenblassem Gesicht, in dem die Augen wie dunstige Teiche wirkten.
Es wird eine Zeit lang dauern, bis wir uns wieder aneinander gewöhnt haben, dachte Cade, während er aufstand. Und dann würden sie sich miteinander beschäftigen. Dann würden sie sich mit Hope beschäftigen.
Er ging zurück zu seinem Pickup und fuhr davon, um seine Pflanzungen und die Arbeiter zu kontrollieren.
Cade war verschwitzt und schmutzig, als er bei den beiden Steinsäulen einbog, die die lange, schattige Auffahrt nach Beaux Reves bewachten. Zwanzig Eichen, zehn auf jeder Seite, flankierten den Weg und wölbten sich so darüber, dass sie ein grüngoldenes Dach bildeten. Zwischen den dicken Stämmen konnte man die blühenden Sträucher, die weite Rasenfläche und einen gepflasterten Pfad erkennen, der zum Garten und zu den Nebengebäuden führte.
Wenn Cade müde war, so wie jetzt, kam es ihm auf diesem letzten Stück Weg immer so vor, als streichle jemand liebevoll seine Müdigkeit weg. Beaux Reves hatte alles überstanden - Kriege und Hungersnöte, Tod und Leben.
Mehr als zweihundert Jahre war das Land schon im Besitz der Lavelles. Sie hatten es beackert, gepflegt, missbraucht und verflucht, aber es hatte überlebt. Es hatte sie begraben, und es hatte sie geboren.
Und jetzt gehörte es ihm.
Das Haus wirkte trotz all seiner Eleganz ein wenig exzentrisch, mehr Festung als Haus, mehr abwehrend als anmutig. Die Steine glitzerten in der untergehenden Sonne. Die Türme ragten arrogant in den Himmel, der sich langsam blutrot färbte.
In dem Oval in der Mitte der Auffahrt befand sich ein riesiges Blumenbeet. Irgendwelche lang vergessenen Vorfahren hatten wohl versucht, die nüchternen, herben Züge des Anwesens zu mildern. Stattdessen bildeten die unzähligen Blumen und Sträucher nun einen scharfen Kontrast zu den massiven Haustüren aus geschnitzter Eiche und den geraden Balken der Fenster.
Cade ließ den Wagen in der Biegung stehen und ging die sechs Steinstufen hinauf. Die Veranda hatte sein Urgroßvater angebaut. Wenn Cade wollte, konnte er dort sitzen, wie schon Generationen vor ihm, und über den Rasen, die Bäume und die Blumen blicken, ohne sich die Sicht mit schwer arbeitenden, schwitzenden Menschen auf den Feldern zu verderben.
Deshalb saß er nur selten dort.
Er kratzte sich die Erde von den Stiefeln. Innerhalb dieser Türen befand sich das Reich seiner Mutter, und obwohl sie nichts sagen würde, waren ihr missbilligendes Schweigen und ihr kühler Blick, wenn sie auch nur eine Spur von dem Schmutz der Felder auf ihrem Fußboden sah, schlimmer als jedes Donnerwetter.
Der Frühling war mild, deshalb standen die Fenster am Abend offen. Der Duft aus dem Garten mischte sich mit demjenigen der Blumen, die im Haus arrangiert worden waren.
Die Eingangshalle war riesig, mit einem Fußboden aus meergrünem Marmor, der einem das Gefühl vermittelte, man stünde in klarem, kühlem Wasser.
Cade träumte von einer Dusche, einem Bier und einem guten Essen, bevor er sich am Abend um den Papierkram kümmern musste. Rasch und leise durchquerte er die Halle, in der Hoffnung, jeden Kontakt mit seiner Familie vermeiden zu können, bevor er sich nicht ausgeruht und gewaschen hatte.
Er war bis in den großen Salon gekommen und hatte sich gerade eine Flasche Bier geöffnet, als er Absätze klappern hörte. Er zuckte zusammen, aber seine Miene war entspannt und gelassen, als Faith ins Zimmer wirbelte.
»Schenk mir einen Weißwein ein, Liebling, ich brauche etwas zum Beruhigen!«
Sie warf sich seufzend aufs Sofa und fuhr sich mit den Fingern durch ihren kurzen, blonden Bob. Mittlerweile war sie wieder blond. Manche Leute behaupteten, dass Faith Lavelle ihre Haarfarbe genauso oft wechselte wie ihre Männer.
Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war sie bereits zweimal geschieden und hatte mehr
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