Lilien im Sommerwind
für den Kaffee.«
Er ging zu seinem Pickup, drehte sich noch einmal um, als er die Tür öffnete, warf ihr einen Blick zu und befand, dass es wohl für sie beide gut wäre, wenn Tory sich an seine Anwesenheit gewöhnen könnte. »Ich habe mich geirrt!«, rief er, während er ins Auto stieg. »Du siehst heute genauso hübsch aus.«
Tory musste unwillkürlich lächeln. Cade grinste vor sich hin und bog schließlich auf die Straße ein.
Als Tory wieder allein war, setzte sie sich noch einmal hin. »Oh, zum Teufel«, murmelte sie und stopfte sich den restlichen Kuchen in den Mund.
6
Unabhängige Kleinstadtbanken gab es kaum noch. Das wusste Tory, weil ihr Onkel, der seit zwölf Jahren die Progress Bank and Trust leitete, von nichts anderem redete. Doch selbst ohne die familiäre Verbindung hätte sie diese Bank gewählt. Es war eine Frage der Politik.
Das Bankgebäude lag an der Ostseite der Market, zwei Blocks von ihrem Laden entfernt, was zusätzlich angenehm war. Das alte Ziegelgebäude war sorgfältig und liebevoll restauriert worden. Die Lavelles hatten die Bank 1853 gegründet und sorgten dafür, dass alles erhalten blieb.
Darin besteht die Politik, dachte Tory, als sie auf die Eingangstür zuging. Wenn man in Progress erfolgreich Geschäfte machen wollte, musste man mit den Lavelles zusammenarbeiten.
Es gab fast nichts, worin sie nicht involviert waren.
Das Innere der Bank hatte sich verändert. Tory konnte sich noch an Besuche mit ihrer Großmutter erinnern, bei denen sie gedacht hatte, die Schalterbeamten würden in Käfigen arbeiten, wie exotische Tiere im Zoo. Jetzt jedoch war der Schalterraum offen, und hinter einem langen Tresen standen vier Bankangestellte.
Sie hatten auch einen Drive-In-Schalter angebaut, und hinter einem hüfthohen Holzgeländer mit Tor saßen zwei weitere Angestellte an hübschen alten Schreibtischen, auf denen Computer mit Flachbildschirmen standen. An den Wänden hingen hübsche Gemälde, auf denen das Land und die Küste von South Carolina zu sehen waren.
Jemand hatte sich die Mühe gemacht, das Gebäude zu modernisieren, ohne ihm die Seele zu nehmen. Tory fragte sich, ob sie ihren Onkel wohl dazu bringen könnte, eins der Bilder oder einen der Wandteppiche zu kaufen, die sie bald anbieten würde.
»Tory Bodeen, bist du das?«
Tory zuckte leicht zusammen und wandte ihre Aufmerksamkeit der Frau hinter dem Geländer zu. Sie zwang sich zu lächeln, obwohl ihr das Gesicht nichts sagte.
»Ja, hallo.«
»Na, das ist aber nett, dich wieder zu sehen, und so erwachsen!« Die Frau war winzig, höchstens ein Meter fünfzig groß. Sie kam durch das Tor und streckte Tory beide Hände entgegen. »Ich wusste ja immer schon, dass du ein hübsches Ding bist. Du kannst dich wohl an mich nicht erinnern?«
Tory kam sich angesichts der aufrichtigen Freude der Frau ungezogen vor, weil sie sich wirklich nicht erinnern konnte. Einen Moment lang war sie versucht, ihre seherischen Fähigkeiten zu bemühen, um auf den Namen zu kommen. Aber wegen etwas derart Trivialem konnte sie ihr Gelübde nicht brechen. »Es tut mir Leid.«
»Das braucht dir doch nicht Leid zu tun! Als ich dich zum letzten Mal gesehen habe, warst du noch ganz klein. Ich bin Betsy Gluck. Deine Großmutter hat mich unterrichtet, als ich gerade die High School beendet hatte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie du ab und zu hereinkamst und mäuschenstill daneben gesessen hast.«
»Sie haben mir immer Lutscher gegeben.« Es war eine solche Erleichterung, sich zu erinnern, den süßen Kirschgeschmack auf der Zunge zu spüren ...
»Nun sieh mal an, das weißt du noch nach so langer Zeit!« Betsys grüne Augen funkelten, während sie Tory die Hand drückte. »Du willst bestimmt J. R. besuchen.«
»Wenn er beschäftigt ist, kann ich auch ...«
»Ach was. Ich habe die Anweisung erhalten, dich sofort in sein Büro zu bringen.« Betsy schlang einen Arm um Torys Taille und führte sie durch das Tor.
Daran werde ich mich gewöhnen müssen, dachte Tory. Berührt zu werden. Angefasst, irgendwohin geführt zu werden. Sie konnte hier nicht als Fremde leben.
»Es muss so aufregend sein, einen eigenen Laden zu eröffnen! Ich kann es gar nicht erwarten, bei dir einkaufen zu kommen. Ich wette, Miz Mooney platzt vor Stolz.« Betsy klopfte an eine Tür am Ende eines kurzen Flurs. »J. R., deine Nichte ist hier.«
Die Tür ging auf, und J. R. Mooney stand im Rahmen. Tory war immer wieder aufs Neue erstaunt, wie massig er war. Wie
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