Lilienblut
nur gesagt, dass er gerne das Wochenende mit mir verbringen möchte.«
»Dann kann er doch auch genauso gut herkommen.«
»Hierher?« Ihre Mutter nahm nicht eine, sondern vier Paar Jeans und versuchte, sie auch noch in den Koffer zu quetschen.
»Ja. Dann könnten wir uns ein bisschen besser kennenlernen.«
Sabrina wusste ganz genau, dass es jetzt sehr auf einen offenen, freundlichen, wirklich großzügigen und herzlichen Gesichtsausdruck ankam. Sie gab sich alle Mühe und das Ergebnis musste ziemlich überzeugend wirken.
»Ich dachte, du magst ihn nicht.«
»Ich mag es nicht, wenn man mir Sachen verheimlicht. Das ist alles. Ich finde ihn jedenfalls sehr sympathisch.«
Was sogar stimmte. Nicht gerade »sehr«, aber unsympathisch war er nun auch wieder nicht. Außerdem gab es keine bessere Ausrede, sich vor einem Wochenende mit Lukas zu drücken und den Rücken freizuhalten. Statt sturmfreier Bude volles Haus, was klang einleuchtender?
Die Wahrheit, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf. Aber die war im Moment einfach zu anstrengend. Was die meisten Leute unterschätzten, war nämlich nicht, die Wahrheit zu sagen. Das ging ganz einfach. Viel schwieriger war es, mit den Konsequenzen zu leben. Sie wollte Lukas nicht vor den Kopf stoßen. Außerdem bereute sie bereits,
dass sie Beate so angemacht hatte. Die brauchte sich, wenn sie die Wahrheit sagte, ja auch nicht um die Folgen zu kümmern. Wer keine Freunde hatte, konnte sie auch nicht verprellen.
»Also …« Franziska betrachtete das Chaos um sie herum. »Irgendwie finde ich die Idee gar nicht schlecht. Aber er kriegt das Gästezimmer.«
Andres und Kjell waren schon lange weitergezogen, dem ewigen Frühling hinterher. Das dürfte also kein Problem sein. Schwieriger war es natürlich, leise und unbemerkt aus diesem Zimmer raus und runter in Franziskas Bett zu kommen. Sabrina feixte fast bei dem Gedanken, wer da wohl nachts zu wem auf Zehenspitzen schlich.
»Und er bleibt da auch«, setzte Franziska hinzu, der das stille Vergnügen im Gesicht ihrer Tochter nicht entgangen war. »Ich rufe ihn an und frage ihn.«
Wenig später kam sie zurück und strahlte vor Freude. »Er macht es. Er hat nichts dagegen. Und du auch nicht? Wirklich nicht?«
Sabrina schüttelte den Kopf.
Franziska ging auf sie zu und nahm sie in die Arme. »Du kannst es mir ruhig sagen, wenn dir das alles zu schnell geht. Wir packen unsere Koffer und sind weg.«
»Tolle Alternative.«
Sabrina lächelte, als sie sich aus der Umarmung löste. Es war egal, aus welchen Gründen sie die beiden gerne im Haus hatte. So wie es aussah, waren alle Beteiligten glücklich darüber. Sie wartete noch eine Stunde, bis Franziska begann, in der Küche die Vorbereitungen für das Abendessen zu treffen. Dann erst rief sie Lukas an und versuchte, dabei so traurig wie möglich zu klingen.
Mit dem Ergebnis, dass dieser Mann sie auch noch tröstete und absolutes Verständnis für ihre Lage zeigte. Als Sabrina auflegte, hatte sie wirklich ein schlechtes Gewissen. Lukas war einfach zu gut für diese Welt. Er hatte es nicht verdient, dass man ihn belog. Hoffentlich findet er es nie heraus, dachte
sie auf dem Weg nach oben. Er müsste ja sonst langsam wirklich an den Frauen zweifeln.
Sie stellte sich an das Fernrohr, das sie vor ihrem Fenster aufgebaut hatte. Es war auf die Werth gerichtet, aber so gründlich sie auch das Ufer absuchte, sie konnte nichts erkennen außer tiefschwarzer Dunkelheit. Sie spürte, wie neue Energie durch ihren Körper flutete. Schon die Möglichkeit, dass Kilian sich ganz in ihrer Nähe aufhalten könnte, schürte ihre Nervösität. Sie fühlte sich so wach wie schon lange nicht mehr. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, was sie eigentlich vorhatte. Was würde sie tun, wenn Kilian ihre Frage mit Ja beantworten würde? Oder andersherum betrachtet: Was würde er anschließend tun?
Unruhig begann sie, im Zimmer auf und ab zu gehen. Vielleicht sollte sie die Polizei anrufen. Aber ob man ihr glauben würde? Die misstrauten ihr doch sowieso. Von wegen lebhafte Fantasie und so. Außerdem hätte sie dann keine Gelegenheit, selbst mit ihm zu sprechen. Sie wollte ihm in die Augen sehen. Sie wollte es von ihm hören. Ja, ich war es. Oder: Nein, ich war es nicht.
Verdammt, es blieb eine gefährliche Sache. Die Zweifel wuchsen, je mehr sie darüber nachdachte. Was, wenn er sie auch umbringen würde?
Sie ließ sich aufs Bett fallen. Das tut er nicht, dachte sie. Das würde er niemals tun. Er
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