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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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verlassenes Schiff, redete sie sich gut zu. Amelie in ihrer unbeschwerten Leichtsinnigkeit hatte ihr damals die Angst genommen. Wald und Natur, das einzig Gewalttätige darin ist immer der Mensch. Wie Amelie ihr fehlte!
    Außer ihr war kein Mensch zu sehen. Wenn Kilian das Schiff verlassen hatte, musste irgendwo ein Steg sein. Noch einmal über die eisernen Stiegen würde sie nicht nach oben klettern. Dazu müsste sie durch Wasser und Eis, und das war einfach ausgeschlossen. Sie stapfte ein paar Meter weiter, und als sie um das Heck herumgegangen war, atmete sie auf. Ein langes, leicht durchgebogenes Holzbrett mit Querstreben verband das Ufer mit der Schanzung. Jeder, der an Bord war und ungebetenen Besuch vermeiden wollte, hätte es eingezogen. Das konnte nur eins bedeuten: Es war niemand zu Hause.
    Ein Schiff, zwei Tote. Und Kilian der Fliegende Holländer. Noch konnte sie umkehren und ihn ziehen lassen, diesen unruhigen, bleichen Geist, der durch ihre Träume wanderte. Sie hatte recht gehabt mit ihrer Vermutung. Sie war nicht verrückt. Sie konnte auf der Stelle umdrehen, nach Hause gehen und zufrieden sein mit dem, was sie herausgefunden hatte.
    Kehr um, dachte sie. Geh und vergiss, was du gesehen hast. Und lebe damit, dass du nie erfahren wirst, wer er wirklich ist.
    Doch dann setzte sie den Fuß auf den Steg. Das Holz war schlüpfrig und vereist, aber ihre schweren Weinbergstiefel gaben ihr genügend Halt, um hinüberzukommen. Sie ging weiter, und mit jedem Schritt wurde das »Kehr um« in ihrem
Kopf lauter. An Deck angekommen, blieb sie stehen wie jemand, der sich in der Hausnummer geirrt hatte.
    »Kilian?«
    Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern. Aber es genügte, um einen Vogel aufzuschrecken, der mit hektischen Flügelschlägen über das Wasser davon schoss. Spätestens jetzt hätte er merken müssen, dass Besuch da war, dachte sie. Das machte ihr Eindringen nicht weniger illegal, aber er wäre gewarnt und würde sich zeigen.
    »Kilian!«
    Das klang schon etwas mutiger. Wenn er wirklich nicht da war, hatte sie auch nichts zu befürchten. Sie ging auf die Luke zu und hob den Deckel. Etwas knackte hinter ihr. Sie fuhr herum, aber es musste ein altes Stück Holz gewesen sein, denn die Schatten blieben an ihrem Platz. Dafür sah sie etwas anderes, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Kilian musste das Deck geschrubbt haben, bevor er gegangen war. Der Neuschnee war wie Puderzucker auf die Planken gefallen, vom Wind in sanften Wellen zusammengetrieben. Mitten durch dieses unschuldsweiße Gemälde führten ihre Fußspuren.
    Sabrina unterdrückte einen Fluch. Sie schlug mit den Schuhspitzen gegen das Holz, um den Schnee abzuschütteln. Wenigstens wollte sie sich nicht den Vorwurf gefallen lassen müssen, auch noch die Fußböden zu versauen. Sie stieg die Treppe hinunter und stand in dem engen, dunklen Flur. Links lag die Küche. Sie schaute kurz hinein und ein Stich jagte ihr durchs Herz. Hier hatte er ihren Namen gesagt, und für ein paar Sekunden hatte sie sich gefühlt, als ob sie all dem, was seine Stimme versprochen hatte, auch vertrauen könnte.
    Sie schüttelte die Erinnerung ab und ging weiter. Es war stockdunkel. Was machte sie hier eigentlich? Ihr Plan war doch gewesen, ihn zu überraschen und ihn nach Amelie zu befragen. Stattdessen schlich sie nun wie ein Einbrecher durch ein Schiff, auf dem definitiv ein Mord geschehen war. Sie erinnerte sich an die Tür am Ende des Ganges und wie er
sie davon abgehalten hatte, sie zu öffnen. Etwas zog sie genau in diese Richtung. Sie holte ihr Handy heraus und ließ das grüne Licht über die Wände tanzen. Da.
    Sie stand vor derselben Tür, und sie sah, wie ihre Hand sich ausstreckte, um sie zu öffnen. Alles kam ihr vor wie in einem Film, der eine Fremde zeigte, eine Fremde, die gerade im Begriff war, in Kilians dunkelste Geheimnisse einzudringen. Sie drückte die Klinke herunter. Mit einem Klagelaut, einem Stöhnen, das Sabrina eine Gänsehaut den Rücken hinunterjagte, öffnete sie sich. Es ist nur Eisen, betete sie sich vor. Nur altes, rostiges Eisen …
    Das grüne Licht fiel auf einen Tisch, drei Holzstühle, auf benutztes Geschirr und die Spuren einer Hand, die über die Platte hinunter auf die Sitzfläche und dann auf den Boden geglitten war. Mit angehaltenem Atem ließ sie den zitternden Lichtschein dieser Spur folgen, die aussah, als hätte die Hand in schwarze Farbe gegriffen und alles, den Tisch, das Geschirr, die Stühle, sogar die Wand

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