Lilienblut
wieder besorgt zu Sabrina um. »Deine Freundin ist im Wald erschlagen aufgefunden worden. Das hier sieht aus wie Blutspritzer. Und dann der Fleck auf dem Boden. Da hat jemand eine Schlagader
getroffen. Das geht eigentlich nur mit einem Messer. Oder einer Schere oder so was Ähnlichem.«
Beate tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. Sie fand ihn, und das trübe Licht einer 15-Watt-Glühbirne erhellte den Raum und ließ ihn noch trostloser und schrecklicher erscheinen, als er schon war.
»Es sieht alles unglaublich alt aus.«
Staub lag fast fingerdick auf dem Tisch. Die Gardinen vor dem fast blinden Fenster waren grau und verschossen. In den Ecken klebten Spinnweben und hingen als bleiche Gespinste von der Decke. An der Tür hafteten noch schwarze Graphit-Spuren. Auch der Tisch und die Tassen waren kriminaltechnisch untersucht worden. Das Blut war schon lange getrocknet und an manchen Stellen rissig wie alte Ölfarbe. Der ganze Raum sah aus, als hätte ein wahnwitziger Bühnenbildner die Dekoration für einen Gespensterfilm der Vierzigerjahre ein bisschen übertrieben.
»Und es ist echt«, fuhr Beate fort. »Hier ist wirklich etwas Schreckliches passiert. Aber nicht der Mord an Amelie. Das hier muss schon Jahre her sein.«
»Acht«, flüsterte Sabrina. Sie rappelte sich auf. Obwohl ihr die Knie zitterten, gelang es ihr, am Türrahmen stehen zu bleiben. »Der Mord an Liliane S. auf einem Schiff, das Sehnsucht hieß.«
»Der Mord am toten Fluss.« Beate stieß einen Pfiff aus, der in jeder anderen Situation durchaus etwas Bewunderndes gehabt hätte. Sie nahm eine umgefallene Tasse und schaute hinein. »Hier klebt sogar noch ein Kaffeerest. Die Teller hat er auch nicht abgespült, dein Kilian. Wie alt ist er eigentlich?«
»Er war damals elf oder zwölf. Das meint zumindest dein Großvater.«
Sabrina spürte, wie ihre Kehle eng wurde. War doch etwas dran an dem, was der Richter gesagt hatte? Ein Kind war damals Zeuge des Schrecklichen gewesen. Ein Kind, das selbst im Verdacht gestanden hatte, der Täter zu sein. Dieses Kind
war heute ein erwachsener Mann, der neben einem blutbesudelten Zimmer schlief. Kilian, das Schiff und der Tatort. Sie gehörten zusammen. Als Sabrina das erkannte, hätte sie sich am liebsten übergeben.
Beate inspizierte immer noch das Museum eines Mordes. Sie fuhr mit den Fingerspitzen über die Tischplatte und schüttelte dann die Staubflocken ab, die hängen geblieben waren. Sie war blass, aber eindeutig nicht so aufgewühlt wie Sabrina. »Und … Wer war der Killer damals?«
»Sein Vater. Sagt man.«
»Sagt man«, wiederholte Beate. »Wir sollten abhauen. Und zwar schnell. Man kann unsere Spuren vom Ufer aus sehen. Ich will nicht von ihm überrascht werden, weder hier noch im Wald.«
Sabrina knipste das Licht aus. »Wie hast du mich eigentlich gefunden?«
Beate schlängelte sich an ihr vorbei in den Flur und ließ wieder ihr Handy leuchten.
»Mir war klar, dass du die erste Gelegenheit nutzen würdest, um nach diesem Typen zu suchen. So neu ist die Idee mit dem toten Fluss nun auch wieder nicht. Das war eins. Noch eins war, dass heute Nachmittag bei Dobersteins niemand ans Telefon ging …«
»Ich habe auch ein Handy.«
»Schon möglich. Aber die Nummer gibst du nicht jedem, stimmt’s? Also eins und eins zusammengezählt ergibt: Sabrina auf Schiff am toten Fluss.«
»Ich bin so froh, dass du hier bist.«
Beate lächelte flüchtig. Sie blieb am Eingang zur Küche noch einmal kurz stehen. »Was willst du von ihm? Der Mann ist gefährlich. Und du spazierst hier einfach so rum.«
»Du doch auch.«
»Na, das hatte ja wohl einen Grund!«
Sabrina drückte sich an Beate vorbei in die enge Kombüse. Ihre Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, dann erkannte sie die Sitzecke und die Spüle wieder, an der er
gestanden und den Fisch getötet hatte. »Ich wollte wissen, ob er was mit dem Mord an Amelie zu tun hat.«
»Und du glaubst, das sagt er dir so einfach?«
»Ja. Bis eben noch habe ich das geglaubt.«
Sabrina sah Amelie in der Ecke sitzen. Sie lachte und ihre Augen verfolgten jede von Kilians Bewegungen. Sie strich sich das Haar hinter die Ohren und sie sah so unglaublich schön und lebenslustig aus. Sabrina schluckte. Ein einziges Fingerschnippen, ein bisschen Drehen an der großen Uhr, die man Leben nannte, und sie säße wieder hier, an einem unglaublich heißen Sommernachmittag, und hörte die Fische springen und das Rauschen der Baumwipfel und das
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