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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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bloß, woher?
    »Vorsicht, Mädchen!«
    Eine Frau zog sie zwei Schritte vom Kai weg. Erschrocken sah Sabrina in die Tiefe. Die Spundwände fielen mehrere Meter tief hinab. Sie waren glatt und steil. Unten schimmerte das Wasser wie schwarzer Teer. Eine Rakete schoss hoch und explodierte in einem roten Leuchtregen. Der Widerschein spiegelte sich auf den kleinen Wellen und tanzte auf ihnen, als hätten auch die Rheingeister heute Nacht etwas zu feiern.
    Sabrina fröstelte. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Noch drei Minuten. Ob noch Busse nach Neuwied fuhren? Von da aus könnte sie sich ein Taxi nehmen, das war nicht so teuer. Und dann würde sie in aller Ruhe darüber nachdenken, was an diesem Abend wirklich passiert war. Sie ließ sich einfach von der Menge weiterschieben.
    »Zurücktreten, bitte!«
    Die Stimme wurde durch ein Megafon verstärkt. Ein Boot der Wasserschutzpolizei war am Siegfried aufgetaucht. »Zurücktreten, die Herrschaften!«
    In dem allgemeinen Aufruhr wurde Sabrina wieder gefährlich nahe an die Kaimauer gedrängt. Sie verlor die Balance und griff nach dem nächstbesten Arm – es war der Junge, der als Erster an ihr vorbeigerannt war.
    »Aber hallo!« Er grinste. »Nur zu, an meine Heldenbrust!«
    Sabrina hatte sich gefangen. Verlegen ließ sie ihn los. »Wir kennen uns.«
    Der Junge kniff die Augen zusammen. »Die Anmache eben war besser. Fehlt nur noch die Frage, ob ich öfter hier bin.«
    »Und?«
    »Bei dem Wetter? Bist du irre?«

    Seine zwei Kumpel tauchten auf. Mit übertrieben wissendem Blick checkten sie die Szene.
    »Haste nicht noch’ne Freundin dabei? Oder gleich zwei?«
    »Bedaure.«
    Die nächsten Raketen explodierten. Dazu krachten Chinaböller, die irgendein Witzbold in eines der Ölfässer geworfen hatte. Ein Heidenlärm ging los.
    »Zehn! Neun! Acht!«
    »Komm, Michi!«
    Die drei hatten entschieden, dass der Abend Vielversprechenderes zu bieten hatte als Sabrina.
    »Sieben! Sechs! Fünf!«
    »Michi?«
    Doch er war schon längst wieder in der Menge untergetaucht.
    »Vier! Drei! Zwei! Eins!«
    »Frohes neues Jahr!«
    Die Schiffshörner tuteten, alle jubelten und schrien. Die Raketen und Feuerwerkskörper schossen im Stakkato nach oben. Eine Rauchwolke legte sich über die Szenerie, durch die die Flammen in den Ölfässern leuchtete wie ein Bengalisches Feuer.
    Sabrina lief in die Richtung, in die die drei verschwunden waren. Michi und seine beiden Spargelfreunde. Sie hatten Amelie »Lilly« genannt. Woher hatten sie diesen außergewöhnlichen Namen? Ihr fiel ein, dass Michi ihr schon damals irgendwie bekannt vorgekommen war. Er war eines der vielen Gesichter unten an den Krippen, die man jeden Tag sah und an denen man immer achtlos vorüberging.
    Endlich fand sie sie. Sie standen um ein Fass und warfen gerade eine ziegelsteingroße Ladung Böller hinein.
    »Deckung!«, brüllte Michi, sprang zurück und landete direkt neben Sabrina.
    »Warum hast du Amelie Lilly genannt?«
    »Wen?«
    Er gab sich größte Mühe, so dämlich wie möglich auszusehen.
Das passte aber so gut zu seinem Allgemeineindruck, dass er sich diese Mühe eigentlich hätte sparen können.
    »Amelie. A-ME-LIE!«, schrie sie.
    Der Lärm war infernalisch. Ein Mann in dunkelblauer Uniform tauchte auf, kippte die Tonne um und trat das Feuer aus.
    »Höppner, du Vollidiot! Da drüben liegt ein Tankschiff!«
    Michi verzog sein schmales Gesicht zu einer Grimasse. »War ich nicht«, murmelte er.
    Der Beamte der Wasserschutzpolizei kam näher. »Ich hab es aber genau gesehen. Ausweise!«
    Die beiden anderen waren schon längst über alle Berge. Seufzend holte Sabrina ihren Reisepass heraus, den sie so lange mit sich herumtrug, bis sie ihr Portemonnaie von der Polizei wiederbekommen würde.
    »Sabrina Doberstein, na so was. Die Kleine vom Weinberg.«
    »Kennen wir uns?«
    »Noch nicht«, blaffte der Polizist. »Kann aber schnell werden. Du Knalltüte bist ja stadtbekannt.«
    Michi steckte mit einem hilflosen Schulterzucken seinen Ausweis wieder ein.
    »Macht, dass ihr vom Acker kommt. Herrschaften! Die Veranstaltung ist beendet!«
    Doch seine Worte hatten keine Wirkung. Im Gegenteil, das Geschiebe und Gedränge wurde sogar noch schlimmer.
    »He, Michi, nicht so schnell!« Gerade wollte er sich verdrücken, aber Sabrina sprang ihm nach. »Spuck’s aus. Warum hast du zu Amelie Lilly gesagt?«
    »Mann, is das jetzt schon’ne Beleidigung? Du hast sie ja nicht mehr alle!«
    Als hätten sie die ganze Zeit in Mäuselöchern

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