Lilienblut
Zentralverriegelung.«
»Irgendjemand sollte ihm mal sagen … dass man … Menschen nicht einsperren … ich krieg Seitenstechen.« Es ging bergauf, und das war sie natürlich – im Gegensatz zu Sabrina – überhaupt nicht gewohnt. Sie blieb stehen und beugte sich nach vorne. Als sie sich wieder aufrichtete, ging es ihr besser. »Er war auch am Berg.«
Sabrina, die ein paar Schritte vorgelaufen war, blieb abwartend stehen. »Lukas? Warum nicht? Den Kreutzfelders gehört doch der Anbau gleich nebenan.«
»Damals, als ich meine Brille verloren habe.« Beate lief jetzt langsamer. »Das wollte ich dir eigentlich die ganze Zeit sagen. Ich habe sein Auto gesehen. Ich bin über den Wanderweg gegangen und habe es entdeckt. Gerade als ich nach ihm suchen will, kommt er wie der Teufel über den Kamm gewetzt. Er sah aus, als wären ihm Himmel und Hölle auf den Fersen. Ich konnte mich in letzter Sekunde verstecken und
hab mir dabei den Arm und das Knie aufgeschürft. Ich habe es ihm erzählt, als wir uns durch Zufall auf dem Marktplatz begegnet sind. Er sagte, er war nicht oben. Aber ich weiß doch, was ich gesehen habe.«
»Dann war er es also, der die Steine losgetreten hat?«
»Ich will mal zu seinen Gunsten annehmen, dass er das nicht mit Absicht getan hat.«
Sie erreichten das Gartentor und liefen ohne Umschweife aufs Haus zu.
Beate öffnete die Tür. »Opa?«
Keine Antwort. Sabrina sah auf die Uhr. Dreißig Minuten. Sie folgte Beate in die große Halle. Es roch nach karamellisiertem Zucker und angebranntem Kuchen.
»Er ist in der Küche.«
Und tatsächlich: Richter Gramann öffnete gerade die Backofentür, aus der eine schwarze Rauchwolke quoll. In drei Schritten war Beate bei ihm, schloss die Klappe und stellte den Ofen aus.
»Da muss was schiefgelaufen sein.« Richter Gramann raufte sein spärliches Haar. »Dabei habe ich alles genau wie immer gemacht. Beate, deine Mutter kommt heute früher nach Hause. Ich wollte … Wer ist das?« Sein flackernder Blick heftete sich auf Sabrina.
»Ich bin Sabrina, die Freundin von Beate«, sagte sie. »Herr Gramann, wir wollten eigentlich nur wissen, wo der Ranger seinen Kleingarten hat. Herr Schraudt. Rainer Schraudt.«
Der Richter tastete nach einem Stuhl und setzte sich. »Der von der Werth?«
»Ja.«
Der alte Mann dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Das weiß ich nicht. Es gab da diese Klage wegen der Gemeindereform, aber das war in den Siebzigern. Sonnenglück? Meint ihr diese Kolonie?«
»Eben nicht.« Sabrina versuchte, die aufglimmende Verzweiflung zu unterdrücken. Der Richter war ihre letzte Chance. Dreiunddreißig Minuten.
»Dann ist er in Vallendar. In der Kolonie hinter dem Campingplatz am alten Hafen.«
Sabrina und Beate sahen sich an.
»Vallendar?«
»Ja. Die Schraudts wollten immer ans Wasser. Weiß der Teufel. Ist ihnen nie gut bekommen.«
Sabrina beugte sich hinunter. Sie hoffte, der Richter könnte sie erkennen. »Warum haben Sie mir damals nicht gleich gesagt, dass der Ranger und Lilianes Mörder Brüder waren?«
Er zuckte mit den mageren Schultern. »Hat mich ja keiner gefragt.«
»Vallendar. Das schaffen wir nie.«
Nervös tigerte Sabrina durch die Eingangshalle. Die kleine Stadt war rund zwanzig Kilometer entfernt. Kein Bus, keine Fähre würde es schaffen, vor der Polizei da zu sein. Beate setzte sich auf eine schmale, unbequeme Holzbank, die aussah, als hätte sie früher in einer Kirche gestanden und eine Menge Sünder zum Büßen gebracht.
»Warum willst du eigentlich unbedingt mit ihm reden? Wenn dein Kilian Amelies Mörder ist, ist es besser, wenn die Polizei als Erstes auftaucht.«
»Und wenn nicht?«
»Dann werden die das schnell herauskriegen.«
»Bist du sicher?« Sabrina glaubte nicht, dass das die beste aller Lösungen wäre.
Beate sah sie nachdenklich an. »Und du? Glaubst du denn wirklich an ihn?«
Blöde Frage. Das Einzige, das für ihn sprach, war ein kurzer, gemeinsamer Moment im Bauch eines rostenden Schiffes. Dieser Augenblick, keine drei Atemzüge lang, in denen Sabrina etwas gefühlt hatte, das so stark war, dass es allen Zweifeln des Verstandes entgegenwirkte. Was war es? Wie konnte es solche Macht haben? Ihr zweites Wiedersehen war viel widersprüchlicher gewesen. Tiefer, intensiver, aber geendet hatte es mit der abgrundtiefen Enttäuschung, dass Amelie
zwischen ihnen stand. … Um Klarheit zu bekommen, musste sie ihn einfach noch einmal sehen.
» Ich würde es gerne herauskriegen«, sagte
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