Lilienblut
leise, dass Beate es hoffentlich nicht mitbekam.
»Ich weiß nicht«, antwortete Sabrina.
Eben noch war Kilian in ihrem Herzen gewesen. Wohin sollte sie da mit Lukas? Für mehr als einen war kein Platz, zumindest nicht gleichzeitig. Das war alles zu plötzlich mit seinem Auftauchen. Sie musste Kilian warnen. Die Polizei war ihm auf den Fersen und er durfte wirklich nie wieder hierher zurückkommen. Lukas’plötzliches Auftauchen passte jetzt ganz und gar nicht.
Lukas musste spüren, dass ihre Gedanken irgendwo anders waren, denn sein Blick wurde düster, und er verzog ärgerlich den Mund. »Ich habe Mist gebaut. Ich gebe es zu. Aber … Warum kann nicht einfach wieder alles so sein wie früher?«
Wovon redete er bloß? Früher. Früher war Sommer, waren die Krippen und die Schiffe auf dem Rhein, waren spargeldürre Jungens, über die sie kicherten, war Bukowsky an einem lauen Abend, war alles wie ein riesengroßes, wunderschönes Bild in Zartblau und Rosa, über das eines Tages das Schicksal mit einem bluttriefenden Pinsel einen dicken Strich gemalt hatte.
»Ich … Ich weiß es nicht.«
Es würde nie mehr wie früher werden. Aber anders, vielleicht, wenn all das hier vorbei war und die Dinge sich wieder zurechtgerückt hatten. Es gab Tage, an denen sich das Erwachsenwerden gar nicht so schlecht anfühlte. Und es gab Tage, an denen wollte man nur noch unter eine Decke kriechen. Sie konnte das nicht erklären. Nicht jetzt. Nicht ihm. Vielleicht nie.
Sie sah Lukas an. »Ich brauche Zeit.«
Lukas wollte etwas antworten, doch dann nickte er nur.
Beate streckte ihren Kopf über die beiden Vordersitze. »Aber nicht zu viel. Wenn es ein bisschen schneller ginge?«
Lukas gab Gas und fuhr bei Dunkelgelb über die Ampel. »Was ist los?«
»Nichts«, sagte Sabrina schnell.
Aber so einfach ließ er sich nicht abspeisen. »Die Polizei war am Hafen. Ich habe sie wegfahren sehen. Was wollten die denn da?«
»Keine Ahnung.« Sabrina versuchte, ihr schlechtes Gewissen zu ignorieren. Lukas hatte ihr immer beigestanden. Sogar einen Anwalt hatte er geschickt. Die Rechnung hatten sie bis heute nicht bekommen. Wahrscheinlich stand er sogar dafür gerade. Es tat ihr unendlich leid, ihm nicht die Wahrheit sagen zu können, und wären sie alleine gewesen, Sabrina hätte nicht die Hand dafür ins Feuer gelegt, dass sie den Mund halten würde. Aber Beate saß direkt hinter ihr und schickte ihr einen warnenden Blick über den Rückspiegel.
»Sie haben eine Spur.« In Lukas’ Stimme lag ein unüberhörbarer Triumph. »Am Hafen. Na endlich. Hoffentlich haben sie ihn bald.«
Lukas bog ab in Richtung Krahnenberg. Die Vorgärten wurden größer, die Häuser auch. Gleich um die Ecke wohnten die Kreutzfelders.
»Wollt ihr vielleicht noch kurz zu mir?«
Sabrina schüttelte den Kopf. »Es geht nicht. Ein anderes Mal.«
»Später? Ich weiß ja nicht, was ihr so Dringendes vorhabt.«
Sie sah auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass schon volle zwanzig Minuten verstrichen waren. Wie lange brauchte die Polizei, um eine Kleingartenkolonie abzusuchen? Nicht lange. Wenn ihnen auch nur ein auskunftsfreudiger Hobbygärtner über den Weg lief, wüssten sie jetzt schon, dass der Ranger dort nicht zu finden war. Wenn nicht dort, wo dann? Hoffentlich hatte Beate recht und ihr Großvater erinnerte sich.
»Hausaufgaben«, erwiderte Beate. »Ganz wichtig.«
»Und das könnt ihr nicht verschieben?«
»Nein«, antworteten Beate und Sabrina wie aus einem Mund.
Lukas fuhr langsamer. Es machte Sabrina rasend, wie er plötzlich im Schritttempo über die Straße schlich. »Ihr wisst was«, sagte er.
Er hielt wieder an einer roten Ampel und Sabrina nahm die Bewegung nur aus den Augenwinkeln wahr. Im Bruchteil einer Sekunde löste sie den Gurt und riss die Tür auf.
»Tschüss!« rief sie.
Beate kletterte verdutzt auf die Straße und bedankte sich bei dem sichtlich verdatterten Lukas. Ein Auto hupte, Bremsen quietschten. Sie wären beinahe einem Kombi vor die Kühlerhaube gelaufen. Hastig erreichten sie den Bürgersteig. Lukas stand immer noch an der Kreuzung und sah ihnen nach. Erst als die Wagen hinter ihm lautstark anfingen zu hupen, gab er Gas. Er brauste geradeaus davon, während die beiden Flüchtlinge sich im Laufschritt nach rechts in eine kleine Seitenstraße schlugen.
»Was war das denn?«, fragte Beate keuchend, denn die Sportlichste war sie immer noch nicht.
»Er hatte schon wieder die Hand an der
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