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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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letzte Bucht passierten und Sabrina die Silberweide sah, unter der Amelie und sie gelegen hatten, musste sie an den Sommer denken und daran, dass es wohl nie wieder so werden würde, wie es einmal gewesen war. Wenig später erreichten sie den modernen Stahlanleger,
und ein freiwilliger Helfer achtete darauf, dass die Besucher nicht vom Weg abkamen, sondern direkt auf den Geysir zumarschierten.
    Sabrina ging als Letzte von Bord. Sie schlenderte auf den jungen Mann zu, der gerade die Zahl der Ankommenden in ein kleines Notizbuch schrieb. »Guten Tag. Ich suche Herrn Schraudt. Den Ranger.«
    Der junge Mann machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Wald. »Der ist beim Geysir.«
    Sabrina bedankte sich und folgte den letzten Nachzüglern, die gerade um die Ecke bogen. Zu ihrer Linken im Unterholz, fast verdeckt von den Blicken, befand sich eine kleine Aufenthaltsbaracke. Dahinter begann das Dickicht, und keine dreihundert Meter weiter lag der tote Fluss . Sie widerstand der Versuchung, vor den Augen des Aufsehers den Weg zu verlassen. Das war verboten, und große Hinweisschilder riefen jeden in mehreren Sprachen zu Ordnung, der auch nur ansatzweise daran dachte. Seit dem »Vorfall«, wie Amelies Tod jetzt seit Neuestem umschrieben wurde, achtete man noch genauer auf die Einhaltung der Vorschriften. Unbefugten war das Betreten des Naturschutzgebietes untersagt, und wer erwischt wurde, musste mit einer gnadenlos hohen Geldstrafe rechnen.
    Seit diesem »Vorfall« also war Sabrina nicht mehr auf der Werth gewesen. Sie wusste noch nicht einmal, wo genau man Amelie gefunden hatte. Ein Spaziergänger sollte der Täter gewesen sein. Aber wer spazierte schon gerne durch meterhohe Brennnesseln und kratzende Vogelbeeren? Sabrina ärgerte sich, dass sie die Kommissarin nicht danach gefragt hatte. Aber wahrscheinlich hätte sie auch keine Antwort darauf bekommen. Sie wurde ja mehr und mehr behandelt wie eine überspannte, nicht ganz zurechnungsfähige Vollidiotin. Als ob ihr nicht auffallen würde, wie viele Ungereimtheiten es gab. Das Naturschutzgebiet schien am Tag von Amelies Tod ungewöhnlich gut besucht gewesen zu sein: das geheimnisvolle Sportboot, der rätselhafte Wandersmann, Amelie, Sabrina, Kilian – und der Mörder.

    Der asphaltierte Weg machte eine Biegung. Schwefelgeruch stieg ihr in die Nase. Eine große Lichtung öffnete sich, in ihrer Mitte türmte sich Vulkangestein. Aus seiner Tiefe würde in wenigen Minuten der Geysir heraufsprudeln. Die Besucher drängelten sich bereits vor der Absperrung. Einige hatten in weiser Voraussicht gelbe Regenjacken übergestreift. Je nachdem, wohin der Wind wehte, war man nach dem Ausbruch relativ trocken oder relativ nass.
    Sie entdeckte den Ranger, umringt von einer Traube interessierter Zuhörer, links auf der kleinen Besucherplattform. Gerade hatte er seine Ausführungen beendet, da begann der Boden leise zu vibrieren, und unter gewaltigem Zischen und Dröhnen sprudelte eine über hundert Meter hohe Fontäne aus der Erde. Die Leute starrten nach oben, staunten, fotografierten und schubsten sich gegenseitig begeistert an. Sabrina, die das alles schon zur Genüge kannte, nutzte den Moment, in dem der Ranger allein abseits stand, und ging auf ihn zu.
    »Herr Schraudt?«
    Rainer Schraudt hatte gerade vorgehabt, eine SMS in sein Handy zu tippen. Er war nur wenig größer als Sabrina, doch seine bullige Statur und der grimmige Blick, mit dem er nun aufschaute und sie musterte, warnte jeden, sich mit ihm anzulegen. Er war bei Wind und Wetter, im Sommer und im Winter hier draußen. Es gab niemanden, der sich auf der Werth so auskannte wie er. Er war ein Mann, den man bei Nordpolexpeditionen und Flugzeugabstürzen gerne in seiner Nähe gehabt hätte, denn mit ihm an der Seite – diesen Eindruck vermittelte er zumindest – glaubte man fest daran, aus jeder Hölle heil wieder herauszukommen. Vorausgesetzt, man beugte sich seinen Anweisungen.
    »Du bist doch die … na? Die kleine Weinbauerin von drüben?«
    Und man widersprach ihm nicht. Nie.
    »Ähm ja. Sabrina Doberstein.«
    Er steckte sein Handy weg und reichte ihr eine schwielige Hand. Unter ihrem Druck ging Sabrina fast zu Boden. »Schön,
dass auch Einheimische mal vorbeischauen. Was treibt dich her? Vor zwei Stunden war er besser. Hatte mehr Druck.«
    Der Wasserstrahl neigte sich an seiner Spitze. Der Wind trieb die Gischt über die Wipfel der Bäume, zum Glück in die andere Richtung.
    »Ich wollte mit Ihnen über den Tag reden, an

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