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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Ranger würde spätestens, wenn das Ausflugsschiff abgelegt hatte, wieder zurückkehren. Die Holzhütte war aus einfachen Brettern zusammengezimmert. Sie streckte die Hand aus und betete, dass nicht abgeschlossen war.
    Natürlich nicht. Wer sollte sich auch unter den Augen des Königs von der Werth hier hineinwagen? Schnell öffnete sie die Tür und schlüpfte hinein.
    Der einzige Raum war hell, freundlich, aufgeräumt und warm. Auf dem Fensterbrett stand die Kaffeemaschine. Die Glaskanne war voll, was darauf hindeutete, dass Ranger und
Helfer gleich eine Pause machen würden. Auf dem fast leeren Tisch lag ein Stapel Prospekte und Faltblätter, allesamt Lobpreisungen der Naturwunder des Geysirs. Zwei Paar Schuhe standen neben der Tür, eine Jacke hing an einem einfachen Wandhaken.
    Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Allein hier zu sein, war schon verboten. Das Horn der Fähre hallte über den Fluss. Wenn sie jetzt losrannte … Was suchte sie eigentlich? Einen Hinweis darauf, dass der Ranger gelogen hatte? Ihr Blick schweifte über die Wände – mehrere Poster von einheimischen Vogelarten und Pflanzen, ein länglicher Spiralblockkalender ohne Eintragungen – und blieb dann an einem schmalen Ringordner auf dem kleinen Schreibtisch links neben der Tür hängen. »Dienstpläne« stand darauf. Mit zitternden Fingern hob sie den Deckel. Es waren handschriftliche Übergabeprotokolle, beginnend im Januar dieses Jahres. Sie blätterte, bis sie beim Juli angelangt war, in der Woche von Amelies Tod. Die Buchstaben waren klein und kaum zu entziffern.
    Schritte und Stimmen näherten sich. Die beiden kamen direkt auf die Hütte zu, und das schneller, als es Sabrina lieb war. Mit einem Ruck riss sie die Seite heraus, faltete sie in fliegender Hast zusammen und stopfte sie in ihre Hosentasche. Dann hastete sie durch die Tür nach draußen und schaffte es in letzter Sekunde um die Ecke. Mit angehaltenem Atem presste sie sich an die Hüttenwand und lauschte. Sie hörte, wie Ranger und Helfer sich auf der Matte die Schuhe abtraten, dann klapperte Geschirr. Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie plötzlich die Stimme des Rangers direkt neben sich hörte.
    »Ist sie weg, die kleine Doberstein?«
    Er war ans Fenster getreten und schaute hinaus, aber in die andere Richtung direkt zur Anlegestelle. Sabrina wäre am liebsten eins geworden mit der Wand. Wenn er sich nur ein bisschen weiter hinauslehnte und nach links blicken würde, würde er sie sofort entdecken. Sie stand keine Armlänge entfernt.

    »Wer soll das gewesen sein?«, fragte die junge Stimme seines Mitarbeiters.
    »Ach, du kennst sie also nicht. Ein ziemlich neugieriges Ding. Ich will nicht, dass sie hier auf der Werth rumstromert.«
    Der junge Mann musste das als Kritik an seiner Sorgfalt aufgefasst haben. Er beeilte sich, die Bedenken seines Chefs zu zerstreuen. »Ich habe genau gezählt. Es sind alle wieder auf das Schiff zurückgegangen.«
    »Gut.« Der Ranger trank geräuschvoll einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. »Wie viele waren es heute?«
    Er trat vom Fenster zurück in den Raum. Während die beiden sich über die Besucherzahlen unterhielten, wagte Sabrina ein erstes, vorsichtiges Aufatmen. Sie musste hier weg. Das nächste Schiff kam aber erst in zwei Stunden, und den Weg zur Anlegestelle konnte sie nicht nehmen: Er lag für die beiden wie auf einem Präsentierteller. Am besten, sie schlich sich in die entgegengesetzte Richtung, hinein in den Wald. Wenn der Helfer bei der nächsten Abfahrt genauso gut zählen würde wie bei der letzten, könnte sie sich dann ohne Probleme unter die Besuchergruppe mischen. In unendlicher Vorsicht setzte sie einen Fuß vor den anderen und versuchte, so leise wie möglich das Weite zu suchen. Jedes Rascheln, jeder brechende Ast würde dem Ranger verraten, dass sich ein Unbefugter in seiner Nähe herumschlich. Erst als sie so weit geschlichen war, dass sie die Hütte nicht mehr erkennen konnte, lief sie los.
    Innerhalb kürzester Zeit hatte sie die Orientierung verloren. Alles um sie herum sah gleich aus: Bäume, Gebüsch, fallendes Laub. Als sie kurz anhielt und sich umsah, ahnte sie mehr, als dass sie wusste, wohin sie gerade lief. Die dichte Blattkrone hielt einen Teil des trüben Tageslichtes fern, es war dunkel und düster hier. Und kalt.
    Sie sah sich um, stolperte noch tiefer ins Unterholz. Fast wäre sie gegen eine der dicken Betonstelzen geprallt, die die Straßentrasse weit über ihr stützten. Sie rappelte sich hoch
und

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