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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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dem Amelie Bogner gefunden wurde.«
    Rainer Schraudt hob die Hand, eine Geste, bei der Sabrina unwillkürlich zurückzuckte, denn sie sah ganz so aus, als ob er ihr eine Ohrfeige verpassen wollte. Dann fuhr er sich aber nur durch die kurzen, sonnengebleichten Haare, und sie erkannte, dass das seine Art von Bewegung war: schnell, impulsiv, weit ausholend.
    »Amelie? Das Mädchen vom toten Fluss?«
    Sabrina schluckte. »Ja. Haben Sie sie gefunden?«
    Der Ranger schürzte die Lippen. Sein Gesicht mit den tiefen Falten verzog sich zu einer nachdenklichen Grimasse. »Nein. Ein Spaziergänger.«
    »Hier?« Sie sagte das bewusst ungläubig, denn nichts verletzte die Ehre des Rangers mehr als Eindringlinge in sein Gebiet.
    »Muss wohl so gewesen sein«, knurrte er.
    Er packte Sabrina am Arm und zog sie zwei Meter weit weg von den anderen. Vielleicht, um nicht belauscht zu werden, vielleicht aber auch, um sie vor dem niederprasselnden Schwefelwasser zu schützen, denn der ungestüme Herbstwind hatte seine Richtung geändert und trieb jetzt den Schweif der Fontäne direkt in ihre Richtung. Die Besucher quietschten vor Vergnügen und sprangen wild durcheinander, um der Dusche zu entgehen.
    »Hier stromert so mancher durch die Gegend. Hast du eine Ahnung, was nachts manchmal los ist? Grillpartys, Liebespärchen, Schiffe …«
    »Schiffe«, wiederholte Sabrina. »Es hieß ja, ein Lastkahn hätte hier festgemacht. Wie in alten Zeiten.«
    Er warf ihr einen Blick aus seinen blitzblauen Augen zu,
den sie nicht deuten konnte. Ärgerte er sich? Oder erinnerte er sich genau wie sie an das, was vor acht Jahren geschehen war? »Da war kein Lastkahn.«
    »Aber … Aber wir haben vom Fluss aus gesehen, dass hier etwas gewesen sein muss.«
    Schraudts Gesicht kam näher. Er fixierte sie, als ob er sie hypnotisieren wollte. »Was habt ihr gesehen?«
    »Die Böschung an der Einfahrt. Sie war kaputt. Wie von einem großen Lastschiff, das nicht richtig manövrieren konnte.«
    »Wer ist wir?«
    »Freunde.«
    »Wer?«
    Sabrina antwortete nicht, aber sie hielt dem Blick des Rangers stand. Schließlich trat er einen halben Schritt zurück und musterte den gewaltigen Wasserstrahl, der nun sichtlich an Kraft verlor und bereits um ein Drittel eingefallen war.
    »Hab ein Schiff hier gesehen. War aber eher ein Boot. So’n kleines.«
    »Wann?«
    »Am Abend. Spät am Abend. Kam zu spät. Da war es schon weg.«
    »Es war kein Boot. Es war ein Lastschiff.«
    Der Ranger kniff seine Augen zusammen, und man sah ihm an, was er von offenem Widerspruch hielt.
    Doch Sabrina gab nicht nach. »Es muss mindestens zwei Tage am toten Fluss gelegen haben. Sie müssen es doch bemerkt haben!«
    »Was wird das hier?«, knurrte Schraudt. »Ein Verhör? Ich hab das alles schon der Polizei gesagt. Hier kommt kein Schiff mehr rein, nicht vor meinen Augen. Alles, was ich gehört habe, verstanden?, gehört!, war ein Motorboot. Und der Fahrer muss besoffen gewesen sein, so wie der das Ufer ramponiert hat. Ein Sportboot, irgendwas Teures, mit mächtig viel PS. Hab ich alles der Polizei gesagt. – So, meine Herrschaften! Bitte zurücktreten!«

    Er ließ sie einfach stehen und stapfte auf die Absperrung zu. Mit seinen furchteinflößenden Armbewegungen scheuchte er die Besucher zurück. Dann nahm er die Kette und hakte sie wieder vor dem Zugang zur Aussichtsplattform ein. Das Eisen rasselte über den Asphalt, und plötzlich spürte Sabrina, dass sie nass war bis auf die Knochen. Der feine Sprühregen, den sie gar nicht gesehen hatte, war wie ein feuchter Nebel unter ihren Pullover gekrochen.
    Sie fröstelte. Langsam machte sie sich auf den Weg. Am Ende der Lichtung drehte sie sich noch einmal um. Der Ranger sah ihr nach. Er hielt noch immer die Kette mit beiden Fäusten umklammert.
    »Bitte weitergehen!«
    Sie fuhr zusammen.
    Der junge Mann trieb die Besucher auf das Schiff zu. Eine Frau verlor ihren Schal und brachte die ganze Choreographie des geordneten Rückzugs durcheinander. Sabrina nutzte den Moment, in dem der Helfer abgelenkt war, und verließ den Weg. Bereits nach wenigen Metern schützte sie das wuchernde Dickicht vor den Blicken der anderen. Es würde nicht auffallen, dass sie verschwunden war. Schließlich hatte der Helfer sie ja auf dem Weg zur Fähre gesehen.
    Ein paar Schritte weiter befand sich der kleine Aufenthaltsschuppen. Leise und vorsichtig schlich Sabrina auf ihn zu. In der Luft lag eine Ahnung von frisch gebrühtem Kaffee. Viel Zeit blieb ihr nicht. Der

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