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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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lauschte auf ihren eigenen, keuchenden Atem. Verdammt. Warum ließ sie sich nur von einem unfreundlichen Ranger so verängstigen?
    Weil mehr dahinter steckte. Und weil der Wald von einer alten Geschichte zu wispern schien, die etwas mit einer neuen Geschichte zu tun hatten. Sie stolperte weiter. Weil beide eine Verbindung hatten. Und weil der Ranger entweder log oder …
    Sie blieb stehen. Oder was? Gehetzt sah sie sich um. Weil er etwa mit dem Mörder unter einer Decke steckt? Weil er vielleicht sogar der Mörder war?
    Der Schrei eines Käuzchens ließ ihr fast das Blut gefrieren. Gespenster, schoss es ihr durch den Kopf. Wohin du siehst, siehst du Gespenster. Das ist doch Blödsinn. Rainer Schraudt ist erst Ranger, seit es das Naturschutzgebiet gibt. Er hatte mit dem Mord vom toten Fluss nicht das Geringste zu tun.
    Zwischen den dichten Baumstämmen flirrte und blinkte Wasser. Vorsichtig, um keine unnötigen Geräusche zu machen, schlich sie weiter. Schraudt war harmlos. Aber warum hatte er dann nicht die Wahrheit gesagt? Ein Knacken hinter ihr ließ sie erstarren. Fast eine Minute stand sie regungslos da. Erst dann war sie sicher, dass es ein gebrochenes Holz war, das sie selbst niedergetreten haben musste. Nach drei Metern erreichte sie das Ufer des Seitenarms und konnte hinübersehen auf die andere Seite, dorthin, wo sie mit Amelie gestanden und die Sehnsucht entdeckt hatte. Und Kilian. Kilian, der im Licht der letzten, schrägen Sonnenstrahlen die Angel ausgeworfen hatte, um einen Fisch zu fangen, den er vor ihren Augen mit einem einzigen Hieb getötet hatte. Sie ging in die Hocke und lauschte dem Atem des Waldes. Was hast du gesehen?, dachte sie. Wer hat deinen Frieden gestört und dich gleich zweimal mit Blut besudelt?
    Wieder ein Knacken. Sabrina fuhr herum, und dann hörte sie einen Laut, der ihr eiskalte Schauer den Rücken hinunterjagte. Von weit her klang ein irres, sich überschlagendes, unmenschliches und dennoch aus einer menschlichen Kehle stammendes Kichern. Es echote an den Steilhängen, mäanderte
unter der Betontrasse, schlängelte durch ineinander verwobene Dachkronen und zersplitterte auf der Oberfläche des Wassers. Es schwoll an und wurde leiser. Es kam von links, dann von rechts. Es war direkt über ihr und dann wieder weit weg. Sabrina sprang auf, rutschte aus, konnte sich gerade noch an der schweren, feuchten Erde festkrallen und presste sich dann die Hand vor den Mund, um nicht laut loszuschreien. Wer in Gottes Namen war ihr gefolgt? Welches Ungeheuer amüsierte sich hier, an diesem Ort, mit einem solchen Wahnsinn?
    Genauso plötzlich, wie es begonnen hatte, brach das Kichern ab. Sabrina wagte kaum, den Kopf zu heben. Ganz vorsichtig schob sie den Farn beiseite, der ihr die Sicht verdeckte. Und da sah sie ihn. Einen schwarzen, koboldhaften Schatten mit weit ausgebreiteten Schwingen, der mit gewaltigen, fast tierhaften Sprüngen am anderen Ende des Seitenarms, dort, wo das Schiff gelegen hatte, die Böschung hinaufhastete, ja beinahe sprang. Schon war er hinter Büschen verschwunden, die leise zitternd den Weg des Flüchtenden vor Sabrinas Augen verbargen.
    Okay.
    Tief durchatmen.
    Das war keine Hallu. Das war echt.
    Sie sah sich um. Selbst wenn es ein Geist gewesen war – übers Wasser schweben konnte er nicht, sonst wäre er schon längst zu ihr hinübergekommen. Diese Kreatur war aus Fleisch und Blut, so viel war sicher.
    Mit zitternden Knien kam sie auf die Beine. Sie sah aus wie ein Erdferkel, und sie konnte nur hoffen, dass nicht nur das Zählen, sondern auch das Hinsehen nicht zu den hervorstechendsten Eigenschaften der Naturparkaufseher gehörte.

DREIZEHN
    Wie es ihr gelungen war, ohne Aufsehen auf das Schiff zu kommen, hätte Sabrina hinterher nicht sagen können. Wie von Furien gehetzt war sie durch den Wald gelaufen und hatte sich dann so lange am Ufer versteckt, bis die neu angekommenen Touristen hinter der Biegung Richtung Geysir verschwunden waren. Da der Käptn offenbar anderes zu tun hatte und die Billetts nur einmal kontrolliert wurden, schlich sie sich unter Deck und wartete in der hintersten Ecke des Restaurants darauf, dass die schnatternde Horde endlich wieder zurückkehrte und sie alle Andernach erreichten.
    Es war weit nach sechs Uhr abends und schon fast dunkel, als Sabrina endlich zu Hause ankam. Das Haus war leer, alle waren wohl noch oben im Weinberg. Mit klappernden Zähnen stieg sie unter die heiße Dusche und kam erst wieder heraus, als ihre Haut krebsrot

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