Lilienblut
dich?«
Sabrina holte tief Luft. »Amelie Bogner war meine Freundin. Sie ist auch ums Leben gekommen. Aber das ist nicht so lange her. Erst drei Monate. Vielleicht haben Sie davon gehört. Ich habe das Gefühl, auch wenn es lächerlich klingt, dass es Zusammenhänge gibt zwischen ihrem Tod und dem, was vor acht Jahren auf der Werth geschehen ist.«
»Mein Beileid zum Tod deiner Freundin. Die Werth, ja … Sie zieht immer noch unruhige Geister an. Der alte Seitenarm, die verwilderten Wege, ein ideales Terrain für Leute, die nicht gesehen werden wollen. Ich war immer gegen das Naturschutzgebiet. Wir haben genug Natur. Mir stehen die Menschen näher als die Bäume.«
Sabrina nickte, auch wenn sie anderer Meinung war. »Damals war sie ja wohl noch nicht so bewacht wie heute.«
»Bewacht«, schnaubte der Richter. »Einen Maschendraht haben sie darum gezogen und alles sich selbst überlassen. Und dieser Wildhüter, Ranger nennen sie den, weiß Gott, der Mann kann ja auch kein Auge auf alles haben. Nein, geändert hat sich nichts. Es ist und bleibt ein Stück verwahrlostes Land. Naturschutzgebiet.«
Das letzte Wort stieß er aus, als ob es in seinem Wortschatz nur unter der Abteilung Beleidigungen vorkäme.
»Ich hätte es gemacht, wie der Kreutzfelder vorgeschlagen hat. Häuser drauf, Straßen, Elektrizität, eine zivilisierte Urbanisation. Und dieser Geysir hätte dann meinetwegen zum Springbrunnen werden können. Ordnung und Ruhe. Die wichtigsten Komponenten eines gesitteten gesellschaftlichen Miteinanders.«
Sabrina nickte wieder. Meine Güte, welches Bild bekamen eigentlich die Besucher Andernachs von dieser Stadt, wenn man den Richter ungehemmt reden ließ?
»In Vallendar haben sie einen richtig hübschen Hafen mit
Campingplatz. Das sah da auch mal aus wie Kraut und Rüben. Bis auf diesen Altarm haben sie das alles jetzt bestens im Griff. Und hier? Vorfahrt für Unkaut. Und sich dann wundern, wenn was passiert. Na ich sag’s ja.« Er lehnte sich zufrieden zurück.
»Der Mord damals …« Sie versuchte, die Rede wieder auf das eigentliche Thema zu bringen. »Hatten Sie noch etwas mit dem Verfahren zu tun?«
Der Richter neigte seinen Kopf etwas zur Seite. Er sah aus wie ein alter Rabe, als er sie mit verengten Augen anfunkelte. »Das war nach meiner Pensionierung.«
»Aber gehört haben Sie sicher davon.«
Der Richter neigte sein schweres Haupt. »Jeder hat davon gehört. Und jeder hatte seine eigene Meinung davon, was da unten passiert ist.«
»Und was ist Ihrer Meinung nach passiert?«
»Ein junges Ding, so eines von diesen flatterhaften Mädchen. Kam aus Koblenz und hat diesen viel älteren Mann geheiratet. Geht ja nie gut, so was. Mit seinem Kahn sind sie den Rhein auf und ab, von Koblenz über Duisburg nach Rotterdam. Die alte Route. Hatte sich das Leben auf so einem Schrottkahn vermutlich anders vorgestellt. Jedenfalls gab es wohl Spannungen und eines Tages …«
Der Richter runzelte die Stirn. Er starrte an ihr vorbei zum Fenster hinaus. Es war einer dieser Herbsttage, die sich nicht für ein Wetter entscheiden konnten. Am Morgen hatte es noch recht vielversprechend ausgesehen. Nun aber ballten sich wieder schwere Wolken zusammen und schienen sich wie graue, nasse Säcke über den Steilhängen zu stapeln.
»Ich sag’s ja. Die Werth. Zieht all das Gesindel an. Damals wie heute.« Sein Blick fiel wieder auf Sabrina, die beinahe zusammenzuckte, so wütend hatte er geklungen. »Es ist und bleibt ein wildes Stück Land am Fluss, wo jeder glaubt, er könnte machen, was er wollte. Dieser Schiffer damals vor acht Jahren … Statt im Hafen geht der Kerl im Seitenarm
vor Anker. Er säuft, sie schreit, das Kind haut ab. So ein magerer Bengel war das, ich hab ihn einmal gesehen, wie er unten am Markt rumgestromert ist. Wenn ich das damals gewusst hätte, ich hätte denen schon viel früher die Polizei vorbeigeschickt. Verwahrlost, ja. Dreckig. Und geklaut hat er.«
»Wer?«
»Der Junge. Der Junge vom Schiffer. Nicht von der Frau. Die war zweiundzwanzig.«
Liliane. Der Name fuhr Sabrina wie ein Stromstoß durch die Glieder. Plötzlich glaubte sie, von weit her Stimmen zu hören. Das Poltern und Brüllen eines Betrunkenen, die heisere Stimme einer Frau, die schon zu lange und zu oft geschrien hatte. Das Weinen eines Kindes, das nicht begriff, was geschah.
»Aber irgendjemand hat hier immer ein Auge zugedrückt, wenn dieser Kahn vorbeikam. Ich weiß nicht, wer, ins Gefängnis hätte man den schicken
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