Lilienblut
das.« Ihr Herz pochte ein wenig schneller, wie jedes Mal, wenn sie zu plötzlich an Amelie denken musste.
»Es tut mir sehr leid. Es muss ein großer Verlust für dich sein.«
Sie holte Tassen aus dem Regal über dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch. »Ich möchte nicht darüber reden.« Mit einem Fremden schon gar nicht. Über was hatten die beiden wohl sonst noch gequatscht?
Er musterte sie mit einem nachdenklichen Blick, wechselte dann aber das Thema. »Hat Franziska gesagt, wohin sie wollte?«
»Zu einer Versammlung der Winzergenossenschaft. Das kann spät werden.«
Er nickte. Sie schenkte den Tee ein, blieb aber stehen. Er sollte gar nicht erst glauben, dass sie nun die Rolle der Alleinunterhalterin übernehmen würde.
»Dann nehme ich mir wohl am besten ein Zimmer. Dieses Wirtshaus Salinger, kannst du das empfehlen?«
»Das ist okay«, sagte Sabrina.
Michael Gerber sah in seine Tasse, trank zwei Schlucke und stand auf. »Ich will dich nicht länger aufhalten. Vielen Dank für den Tee. Ich versuche es noch mal auf ihrem Handy. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder. Ich würde mich freuen.«
»Sie wollen nicht bleiben?«
»Nein. Das würde deine Mutter nicht wollen.«
Unsicher zuckte Sabrina mit den Schultern.
»Ich habe auf dem Weg nach Köln einfach nur einen kurzen Zwischenstopp eingelegt«, fuhr er fort. »Wir sind nicht zusammen,
falls du das glaubst. Oder befürchtest.« Er lächelte. Ein Kranz feiner Fältchen legte sich um seine Augen. Plötzlich sah er gar nicht mehr so jung aus. Eher ein bisschen traurig.
»Ich befürchte gar nichts«, sagte sie etwas zu hastig. »Ich meine, meine Mutter ist alt genug. Sie kann ihre eigenen Entscheidungen treffen.«
»Ja, das tut sie.« Er nahm seine Tasche und ging in den Flur. »Ich wollte dir übrigens noch meine Hilfe anbieten. Franziska meinte, es wäre keine gute Idee und du würdest mich dafür auf den Mond schießen, aber wenn du mal mit mir reden möchtest, ich bin immer für dich da.«
»Warum? Ich meine, warum wollen Sie mir helfen?«
Michael Gerber holte eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und reichte sie ihr. »Nenn es berufliches Interesse.«
Diplompsychologe Michael Gerber. Psychotherapie/ Psychoanalyse. Darunter eine Adresse in Koblenz.
Sabrina runzelte die Stirn. »Ich gehe nicht davon aus, dass ich einen Psychologen brauche.«
»Ich auch nicht. Aber manchmal hilft es. Glaube mir.« Er nickte ihr knapp zu und ging hinaus.
Sabrina starrte ihm hinterher. Was hatte ihre Mutter diesem Mann sonst noch alles erzählt? Und was für einen Eindruck machte sie eigentlich? Es war schon genug, wenn sich die Polizei in Neuwied über sie schlapplachte. Offenbar geisterte sie langsam, aber sicher als melancholische Irre durch Leutesdorf. Wütend zerriss sie die Visitenkarte und warf sie in der Küche in den Mülleimer.
Allerdings hatte sie erst am nächsten Morgen Gelegenheit, mit ihrer Mutter zu sprechen. Michael musste sie doch noch erreicht haben, denn ihre Laune war einfach nur abgrundtief schlecht.
»Ich habe nicht mit ihm über dich geredet«, knurrte Franziska. »Ich habe über Amelie geredet und dass er und ich damals einfach ein verdammt schlechtes Timing hatten. Es war seine Idee, dir Hilfe anzubieten. Nicht meine. Okay?«
Sabrina hatte keine Ahnung, warum plötzlich alle Welt der Meinung war, ihr helfen zu müssen. Und warum diese Hilfe hauptsächlich darin bestand, sie zum Reden bringen zu wollen. »Schon gut. Schwamm drüber. Wenn ich einen Psychologen brauche, melde ich mich. Was ist denn nun mit euch beiden?«
Franziska stieß einen Seufzer aus, der abgrundtiefer war als Emmerichs Weinkeller. Dann fuhr sie sich mit beiden Händen durch ihre schulterlangen Haare. »Keine Ahnung. Ich schaffe es ja noch nicht mal zum Friseur. Ich habe einfach keine Zeit für so was. Komm, wir müssen los.«
Andres und Kjell waren schon oben am Weinberg. Dafür hatten sie früher Feierabend und machten sich am Nachmittag fröhlich pfeifend auf ins Wochenende. Sabrina arbeitete gemeinsam mit ihrer Mutter weiter. Vier Reihen noch, dann hatten sie die Lese geschafft. Es war eine mühselige Arbeit, denn ein Teil der Trauben sollte noch am Stock bleiben und den ersten Frost mitbekommen. Und genau die musste man auswählen, was wesentlich mehr Zeit raubte als einfach alle Reben zu ernten.
Sabrina dachte darüber nach, warum die Antwort ihrer Mutter sie wider Erwarten nicht glücklich machte. Keine Zeit für so was. Hatte Franziska
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