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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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war ja auch nicht auf der Beerdigung. Aber ich habe ihn immer gehört. Meistens ist er nach Willy nach Hause gekommen. Ein Stuhl fiel um. Oder er ist über was gestolpert. Die Toilettenspülung. Die Fenster. Aber seit letzter Woche ist es still da oben.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Zu still.«
    Sabrina spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden. Was machte man in so einer Situation? Den Hausmeister anrufen? Die Polizei?
    In diesem Moment steckte jemand von außen einen Schlüssel in die Wohnungstür.
    Erschrocken fuhr Wanda zusammen. »Still!«, zischte sie. »Sag ihm nichts davon. Er hat es auch so schon schwer genug.«
    Die Tür wurde geöffnet und Willy taumelte herein. Er stutzte, als er Sabrina sah. Dann riss er sich zusammen und ging wortlos an ihr vorüber in die Küche. Er warf die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu.
    »Also dann gehe ich mal.«

    »Die Schlüssel«, flüsterte Wanda plötzlich. »Wir haben Schlüssel zu seiner Wohnung. Im Flur der Bund ganz links. Wir haben sie nie gebraucht.«
    »Wanda?« Willys Stimme klang ärgerlich.
    Sabrina huschte in den Flur, fand den Schlüsselbund und rief: »Bis bald! Ich schaue nächste Woche mal wieder vorbei!«
    »Mach das, mein Kind. Mach das.«
    Wanda klang wieder fast normal. Fast.
     
    Sabrina stieg die Stufen hinauf und hoffte, dass niemand der übrigen Mieter ausgerechnet jetzt auf die Idee kam, nachzusehen, wer sich da im Treppenhaus herumtrieb. Vor Bertis Wohnung prüfte sie vorsichtig, welcher Schlüssel wohl zu dem Schloss passen könnte, und war froh, auf Anhieb den richtigen gefunden haben. Bevor sie die Tür öffnete, lauschte sie noch einmal. Bis auf das Ticken der Lichtuhr und die üblichen Wohngeräusche von so vielen Menschen unter einem Dach war alles ruhig. Sie trat ein und zog schnell die Tür wieder hinter sich zu.
    »Herr Wennigstedt?«
    Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Die Luft roch abgestanden. Hier hatte lange keiner mehr die Fenster aufgemacht.
    »Sind Sie zu Hause?«
    Sie tastete nach dem Schalter und fuhr zusammen, als eine matte Glühbirne über ihrem Kopf aufflammte. Die Wohnung war klein und nur sehr sparsam möbliert. An den Garderobenhaken hing keine Jacke. Offenbar war Berti wirklich nicht da, auch wenn auf einer großen Telefonbank aus altdeutscher Eiche diverse Sweater und Pullover zusammengeknäuelt lagen. In einem Ständer lagen drei Angeln. Alles sah achtlos hingeworfen aus. Am liebsten hätte Sabrina auf der Stelle kehrtgemacht. Aber sie schuldete es Wanda, wenigstens einmal nachzusehen.
    Berti nutzte den einzigen Wohnraum gleichzeitig auch zum Schlafen. Der Ordentlichste war er nicht. Hemden und Hosen lagen übereinander auf zwei abgeschabten Sesseln. Sie
warf noch einen Blick in die Küche, in der sich verkrustetes Geschirr auf allen ebenen Ablageflächen stapelte. Es stank dumpf und muffig nach verfaulten Essensresten und einem ewig nicht geleerten Mülleimer. Vielleicht sollte sie tatsächlich die Polizei informieren. Berti war nicht der Typ, der spontane Kurzreisen an die Riviera unternahm. Er war ein Mensch, der selten oder nie Besuch bekam. Sonst sähe es hier anders aus. Sie hob den Kopf. Sie war nicht allein. Etwas in dieser Wohnung lebte.
    Es war ein Schaben und Kratzen, etwas völlig Undefinierbares. Leise, so leise, dass es ihr erst aufgefallen war, als ihre Ohren sich an die Stille in der Wohnung gewöhnt hatten. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Was konnte das sein? Vorsichtig tastete sie sich zurück in den Flur. Hier irgendwo musste es herkommen. Fingernägel auf Holz kratzten so.
    »Herr Wennigstedt?«
    Ihr blieb fast die Stimme weg. Was mache ich hier bloß?, dachte sie. Das ist nicht richtig. Das spüre ich ganz genau, Amelie.
    Sie schlich sich zur Wohnungstür. Jetzt war das Geräusch in ihrem Rücken. Ein Scharren, dann summte etwas, als ob Fliegen irgendwo eingesperrt wären. Ihre Finger klammerten sich so fest um die Schlüssel, dass die scharfen Kanten sich schmerzhaft in ihr Fleisch gruben. Mit dieser Wohnung stimmte etwas nicht.
    Sie lauschte. Ihr Blick fiel auf die Telefonbank. Sie war nicht groß genug, um einen Menschen zu verstecken. Und warum sollte Berti dort hineingekrochen sein? Ihr Magen zog sich zusammen. Sie spürte, wie ihre Kehle eng wurde. Der Geruch, dieses Summen … Sie trat an die Truhe. Mit einem Griff packte sie den Deckel und klappte ihn auf. Eine schwarze Wolke schoss auf sie zu. Sie schrie auf, spuckte, schlug um sich, ein gewaltiger Schwarm Fliegen

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