Lilienblut
und Michael stellten sich vor. Franziska bot Wein an, den alle ablehnten.
Als das Schweigen zu ungemütlich wurde, stand Michael auf. »In zwei Wochen ist erster Advent, und in diesem Jahr wird ›Wein im Schloss‹ zum ersten Mal auch im Winter veranstaltet. Wie wär’s: Wollt ihr kommen?«
»Ja!«, rief Sabrina, ohne lange zu überlegen. Das kurfürstliche Gemäuer in Koblenz war schon eine Attraktion für sich. Im Advent musste es umwerfend sein.
»Sehr gerne.«
Das war Lukas. Überrascht schaute Sabrina ihn an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sich auch angesprochen fühlte. Aber Michael nickte nur freundlich und wartete auf Franziskas Antwort.
»Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Ich muss erst in den Kalender schauen. Ich habe im Dezember zwei Weinseminare.«
»Nicht am Sonntag«, sagte Sabrina.
Michael merkte, dass Franziska wohl andere Gründe als einen vollen Terminkalender suchte. »Na ja, das hat ja noch Zeit. Schlimmstenfalls machen wir uns zu dritt einen schönen Tag. Einverstanden?«
»Mir soll’s recht sein«, sagte Lukas.
Er verabschiedete sich. Sabrina brachte ihn noch bis zur
Tür. Er beugte sich zu ihr herab und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ganz flüchtig, sehr freundschaftlich und überhaupt nicht besitzergreifend.
»Ich gehe morgen zur Polizei und rede mit ihnen. Du darfst nicht mehr alleine weitermachen.«
Sabrina nickte. Der Gedanke, dass Berti etwas passiert sein konnte, hatte sie die ganze Zeit verfolgt wie ein dunkler Schatten.
»Ich sage denen auch das mit dem Richter. Er ist ein Zeuge. Egal, ob halb blind oder nicht. Sein Wort hat immer noch Gewicht. Dann werden sie dieses Geisterschiff vielleicht endlich mal richtig suchen.«
Sabrinas Herz klopfte schneller. Vielleicht war Kilian nur deshalb auf der Flucht, weil er etwas gesehen hatte.
Aber Lukas schien anderer Meinung zu sein. »Und wenn sie es finden, haben sie auch den Mörder. – Geh rein. Es ist kalt.« Er nahm sie in den Arm und zog sie an sich. »Hör auf«, flüsterte er. »Ich habe Angst um dich.«
Wieder wollte er sie küssen, aber dieses Mal nicht auf die Wange, sondern auf den Mund, Sabrina drehte schnell den Kopf weg. Lukas merkte das, ließ sich aber nichts anmerken.
»Bis bald«, sagte er leise.
Sabrina schloss die Tür. Im dunklen Flur blieb sie so lange stehen, bis seine Schritte auf dem Hof verklungen waren und sie das Auto anspringen hörte. Noch immer pochte das Blut wild in ihren Adern. Der Moment in Lukas Armen hatte einen Strudel von Gefühlen in ihr ausgelöst. Aber nicht für Lukas, sondern hin zu einem Mann, von dem ihr nichts geblieben war als die Erinnerung an ein Phantombild.
Das war doch verrückt. Gerade fuhr Lukas davon, der sich um sie sorgte, der ihr glaubte, der sie beschützte und sogar auf ihrer wahnwitzigen Spurensuche begleitete. Sie lief an der Küche vorbei, warf Michael noch schnell einen Abschiedsgruß zu und stolperte die Treppen hoch in ihr Zimmer. Hektisch riss sie die Nachttischschublade auf und suchte mit zitternden Fingern nach Amelies Tagebuch. Als sie es gefunden
hatte, schloss sie die Augen und suchte wieder nach einer beliebigen Stelle. Wenn Beate sie jetzt so sehen könnte, sie würde sich ausschütten vor Lachen. Natürlich wusste Sabrina, wie absolut kindisch das war, was sie hier tat. Aber es gab niemanden, der ihr helfen konnte. Griffen Menschen da nicht zu weitaus dünneren Strohhalmen? Zu Horoskopen, Orakeln, Münzen, einem Pendel?
Sie knipste die kleine Lampe an und las.
… es ist dunkel und düster. Da, wo keine Sonne scheint, will ich hin und wissen, was hinter dem Schmerz liegt. Weiter und immer weiter. Antworten auf Fragen finden, bei denen ich Angst habe, sie zu stellen.
NEUNZEHN
Für Sabrina war die Sache klar: Sie würde dranbleiben. Mochte Lukas sie auch noch so sehr von weiteren Nachforschungen abhalten wollen. Sie würde weitermachen, schlimmstenfalls auch alleine. Als in den nächsten Tagen der Himmel die Farbe wechselte und die Sonne wie durch bleigraues Glas schien, ging sie noch einmal zur Polizei. Helga Fassbinder war nicht da, und so wartete sie im Flur über eine halbe Stunde, bis ein dicker, gemütlich wirkender älterer Kollege sie in Empfang nahm.
»Sie kommen wegen Amelie Bogner.«
Er hatte buschige graue Augenbrauen und schlohweiße Haare, die ihm in einem wirren Durcheinander vom Kopf abstanden. Den Kampf mit der Frisur hatte seine Pomade jedenfalls verloren, denn sie hielt lediglich den Scheitel
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