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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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dem Patienten geht.«
    »Gesund und munter. Gehen Sie in die Garderobe und überzeugen Sie sich selbst. Er freut sich bestimmt, seiner Retterin die Hand küssen zu dürfen.«
    »Sie übertreiben«, hörte ich Julia antworten. »Ich sehe Sie dann später, ja?« Noch bevor Franz dazu kam, ihr zu antworten, winkte sie mir zu und rief: »Wiedersehen, Undine, wir telefonieren!« Dann hörte ich die Absätze ihrer Schuhe klacken. Sie ging in Richtung Garderobe.
    »Was hast du denn im Auto vergessen?«, fragte ich Franz und schielte auf die Tasche, die er mir gleich darauf in die Hand drückte.
    »Das hier«, antwortete er abwesend.
    Ich sah hinein und fand eine Schachtel »Edle Tropfen in Nuß«, eine Großpackung Echinacin und die Nussknackersuite von Tschaikowsky. Soso, dachte ich und grinste. Julia hatte es vollkommen richtig erkannt: Ohne das konnte Franz nicht leben.
    ***
    Abends stahl ich mich um Viertel nach sechs davon. Die anderen probten noch, aber mich brauchte im Moment niemand mehr. Die Texte und Fotos für das Programmheft waren fertig, morgen würde ich das Layout mit der Grafikerin unserer Agentur besprechen. Das Deckblatt in Grün-Gold, darauf Milan mit der Blauen Blume. Das hatten Franz und ich bereits entschieden.
    Ich verließ das Theater, ging hinaus auf die Straße und blickte mich um. Christian war noch nicht da. Ich hatte vor, mir ein neues Fahrrad zu kaufen, und Christian wollte mir helfen, etwas Passendes zu finden. Danach wollten wir noch etwas essen gehen.
    Ein lauer Wind fuhr mir durch die Haare, die Abendsonne lag auf meinem Gesicht, es roch nach warmem Teer und Eiscreme. Aus dem Theater klang Musik, darüber legte sich von irgendwoher das helle Bimmeln der Straßenbahn. Für ein paar Sekunden schloss ich die Augen, reckte mein Gesicht ein Stückchen weiter in die Sonne und überließ mich dem feierlichen Gefühl, glücklich zu sein. Als ich sie wieder aufschlug, blickte ich auf Christians lächelnden Mund.
    »Mach sie ruhig wieder zu«, sagte der Mund weiterhin lächelnd. »Das verschafft mir zumindest den Hauch eines Eindrucks, wie du aussiehst, wenn du schläfst.«
    Statt einer Antwort legte ich meine Hand um Christians Nacken, zog sein Gesicht dicht zu mir heran und küsste ihn. »Aufwachen!«, sagte ich leise und drückte mich sanft an ihn. »Träumen darfst du später.«
    »Wovon?«
    »Davon.«
    »Und du glaubst wirklich,
das
sei der Stoff meiner Träume?«
    »Ich könnte schwören, neben einer signierten Tolstoi-Originalausgabe und dem neuen ›iPhone‹ rangiert meine ›German Kleinigkeit‹ ganz oben. Aber lass dich nicht irritieren. Sie hat schließlich ganz Hollywood erobert.«
    Er prustete los und zog mich zum Auto. »Los, steig ein oder ich fress dich auf der Stelle.«
    »Hallo, Christian«, unterbrach eine weibliche Stimmeunsere Frotzelei und wie vom Blitz getroffen fuhr Christian herum. Mit einem feindseligen Blick aus ihren dunklen Augen taxierte die Frau zuerst ihn und dann mich. Ich schätzte sie auf Mitte dreißig und hätte sie hübsch gefunden, wenn nicht der starre Ausdruck ihrem Gesicht alles Weiche darin genommen hätte. Mein Lächeln ignorierte sie, ihr Interesse galt allein Christian.
    »Isolde«, sagte er und seine Stimme klang rau wie Schorf, »so ein Zufall. Lange nicht gesehen.«
    Sie musterte ihn noch durchdringender und antwortete: »Merkwürdig, ausgerechnet aus deinem Mund eine solche Banalität zu hören. Sie sei dir allerdings verziehen, denn wenigstens ersparst du mir ein ›Wie geht es dir?‹.«
    Christian lachte verlegen und machte eine unbestimmte Bewegung, die an ein Tier in der Falle erinnerte. »Das ist eine blöde Situation, Isolde. Was soll ich sagen? Alles, was ich sagen würde, klänge falsch in deinen Ohren.«
    Sie schien ihm gar nicht zuzuhören, sondern wandte sich plötzlich an mich. »Wie haben Sie ihn kennengelernt? Nein, lassen Sie mich raten: Er verteilt noch immer Prospekte.«
    »Isolde, bitte   …«
    »Wiedersehen, Christian.« Und dann an mich gewandt: »Ich würde ihm nicht mehr trauen. Nicht eine Sekunde.« Sie drehte sich um und ging davon. Ihr Sommermantel schwang um ihre schmalen Knie.
     
    Schweigend stiegen wir ins Auto. Mein Mund hielt die Worte zurück, die sich in meinem Kopf überschlugen. Wer war das? Was wollte sie? Was ist passiert? Was hast du getan? Ich blickte zu Christian hinüber, sein Nacken war so steif, dass ich nur vom Hinsehen Verspannungen bekam.Mit einem Mal war er mir fremd, und ich fühlte, wie sich die

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