Lilientraeume
Irgendwie störte es ihn, ganz von ihren Informationen abzuhängen und nur auf Vermutungen angewiesen zu sein. Hätte er sie nicht zufällig beobachtet, stünde er noch dümmer da und wäre völlig ahnungslos. Er hoffte bloß, dass sie ihn bald ins Vertrauen zog.
Schließlich sollte sie aus eigenem Erleben besser als alle anderen wissen, dass auch der Vater – Gott, vielleicht würde er Vater – einen Anspruch darauf hatte, von einer Schwangerschaft zu erfahren. Zumal wenn diese nicht Resultat eines bedeutungslosen One-Night-Stands war. Ihn und Avery verband gefühlsmäßig immerhin eine ganze Menge, und ihre Beziehung beschränkte sich nicht darauf, hin und wieder zum Vergnügen miteinander in die Kiste zu gehen.
Welcher Art auch immer ihr Verhältnis derzeit sein mochte – ohne Vertrauen und Ehrlichkeit lief auf Dauer nichts.
Jedenfalls wollte er keine Neuauflage der Geschichte, die er gerade erst mit ihr erlebt hatte: dieses totale Abschotten, das ihn ratlos machte, und dieses Schweigen, das ihn verletzte.
Ein zweites Mal würde er sich nicht aus ihrem Leben aussperren lassen. »Verflixt und zugenäht!« Er runzelte die Stirn und warf eine kaputte Sperrholzplatte wütend zu dem anderen Bauschutt.
»Nun spuck schon aus, was dich so in Rage bringt«, forderte ihn Beckett auf.
Er trat kraftvoll gegen den Container. »Das kann ich dir sagen. Avery ist schwanger.«
»Heiliges Kanonenrohr.« Beckett winkte ab, als einer ihrer Arbeiter sich ihnen näherte, nahm Owen am Arm und zog ihn aus dem Regen unter das Verandadach. »Seit wann weißt du es?«
»Seit heute früh. Und rat mal, wie ich es herausgefunden habe! Sie hat kein Sterbenswörtchen zu mir gesagt. Ich hab sie zufällig im Drugstore gesehen, als sie gerade einen Schwangerschaftstest in ihren Korb warf.«
»Meine Güte. Und er war tatsächlich positiv?«
»Keine Ahnung.« Owens Zorn schwoll immer mehr an, und ruhelos marschierte er auf und ab. »Sie sagt mir ja nichts. Statt mir von ihrem Verdacht zu erzählen, kauft sie klammheimlich in Hagerstown einen Test, damit niemand es hier mitkriegt. Aber das lass ich mir nicht bieten.«
»Jetzt reg dich erst mal ab.« Beckett stellte sich dem Bruder in den Weg und hob beschwichtigend die Arme. »Du weißt also gar nicht, ob sie schwanger ist.«
»Und so, wie es aussieht, werde ich wahrscheinlich der Letzte sein, der es erfährt.« Mit einem Mal klang er weniger wütend als verletzt. »Das kann sie mit mir nicht machen.«
»Was hat sie denn gesagt, als du sie darauf angesprochen hast?«
»Nichts. Ich hab sie noch gar nicht gefragt.«
Beckett starrte seinen Bruder an und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. »Du bist in dem Laden nicht zu ihr hingegangen?«
»Nein. Ich war wie gelähmt, okay? Himmel. Sie hat dieses Ding in ihren Einkaufskorb geworfen, als sei es eine Tüte Bonbons oder so, und dabei sogar gelächelt. Ich war völlig durcheinander und hatte einfach keine Ahnung, was ich machen sollte. Was zum Teufel hättest du an meiner Stelle getan?«
»Bei mir und Clare liegen die Dinge anders.« Beckett schaute in den gleichförmigen Regen. »Wir sind uns einig, dass wir ein Baby wollen. Aber vermutlich war das bei euch noch kein Thema, und deshalb dürfte es auch keine Absprachen geben, was ihr im Fall einer unerwarteten Schwangerschaft tun wollt.«
»Nein. An diese Möglichkeit hab ich zumindest bisher keinen Gedanken verschwendet. Trotzdem hätte sie es mir sagen sollen, Beck, das ist es, worum es mir in erster Linie geht. Warum bildet sie sich ein, dass sie immer alles ganz alleine mit sich ausmachen muss? So kann es zwischen uns nicht funktionieren, und so will ich auch nicht leben.«
»Nein, das versteh ich.« Beckett war klar, dass Owen eine andere Art des Zusammenlebens brauchte. Sein Bruder war der geborene Teamplayer, glaubte an Partnerschaft und geteilte Last. Für ihn waren Geheimnisse etwas für Weihnachten und für Geburtstage und nichts, was im Alltag Sinn machte. »Du musst auf alle Fälle mit ihr reden, allerdings nicht auf der Stelle. Nicht zur Mittagszeit, wenn die Bude voll ist. Da solltest du nicht in die Pizzeria stürmen, um über Schwangerschaft oder nicht zu reden. Beruhige dich erst mal.«
»Das fällt mir verdammt schwer. Je länger ich darüber nachdenke, umso wütender werde ich.«
»Dann richte deine Gedanken auf etwas Konstruktives. Beispielsweise darauf, was du machen willst, falls sie tatsächlich schwanger ist.«
»Dann sollten wir wohl heiraten.«
»Ich
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