Lilientraeume
traurig«, wiederholte sie »Nur einfach nicht so sicher und so stark, wie ich es gerne wäre. Wie schaffen die Menschen das, ein solches Wagnis wie eine Ehe einzugehen? Du hast für Billy bestimmt auch sehr viel riskiert oder warst bereit dazu. Wie macht man das?«
Während sie auf die Balkontür sah, beschlug plötzlich das Glas. Und auf die beschlagene Scheibe malte eine unsichtbare Hand ein Herz.
»Du meinst, dass es so einfach ist? Ich wünschte, ich könnte es glauben …«
Von unten drangen Stimmen und Gelächter herauf. »Die Party beginnt, und ich muss wieder zu den anderen.«
Sie erhob sich , trat vor den kleinen Spiegel und beseitigte die Spuren ihrer Tränen. »Magst du nicht ebenfalls herunterkommen zu Clares Fest? Es wäre doch schade, wenn unten fröhlich gefeiert wird und du hier oben alleine bist. Also, ich erwarte dich dann«, sagte sie und verließ den Raum. Kehrte in dem Bewusstsein in den Speisesaal zurück, dass sie nicht nur Lizzys geisterhafter Erscheinung, sondern auch sich selbst Mut gemacht hatte.
Es wurde ein gelungenes Fest, das Avery aus vollem Herzen genoss. Sie hatte sogar Freude an Dingen, die sie sonst bisweilen als unwichtig abtat. Etwa hübsche Kleider und Mode, belangloser Smalltalk und anzüglicher Klatsch und Tratsch.
Zwischendurch schenkte sie Getränke nach, räumte leere Teller und Platten weg und schleppte frisches Geschirr und neue Kanapees heran, während Hope notierte, wer welches Geschenk mitgebracht hatte, und Carolee aus Bändern und Schleifen ein kunstvolles Sträußchen bastelte.
Dann die eher närrischen Spiele, die sie normalerweise belächelte. Was war schon witzig daran, wenn eine Braut unter Pfeifen und Johlen ein fast durchsichtiges schwarzes Nachthemd auf der Tanzfläche auspackte? Nichts, doch heute Abend war Avery bereit, alles lustig zu finden, und freute sich über Justines anerkennende Worte. »Ihr Mädels habt eure Sache wirklich gut gemacht. Ich hätte es nicht besser hingekriegt.«
»Es war für uns ein Riesenspaß«, gab Avery zur Antwort und meinte es wirklich ehrlich.
»Darauf sollten wir noch eine Flasche Sekt kippen. Machst du sie mir auf? Du bist schließlich vom Fach.«
Avery lachte. »Na klar doch.«
»Im Grunde wollte ich nur kurz mit dir allein sein«, sagte Justine und zog sie zur Seite, als sie mit dem Sekt zurückkam.
»Okay.«
Sie nahm Avery die Flasche ab und stellte sie auf den Tisch. »Ich bin eine wirklich gute Mutter.«
»Ich wüsste keine bessere.«
»Die gib t ’s schließlich auch kaum.« Justine sah Avery mit einem breiten Grinsen an, bevor ihre Miene ganz weich wurde. Sie strich der jungen Frau übers Haar. »Ich hab dich schon immer als Mitglied unserer Familie betrachtet.«
»Justine, das ist …«
»Ich dachte immer, das sei klar, und ich müsste es dir nicht eigens sagen. Vielleicht lag ich mit dieser Einschätzung falsch.«
Vor lauter Rührung musste Avery erst mal schlucken, bevor sie antworten konnte. »Ich wusste immer, dass ich mich auf dich verlassen und mit allem zu dir kommen kann.«
»Ich hoffe sehr, das beherzigst du auch, Avery. Du bist einer der intelligentesten und fröhlichsten Menschen, die ich kenne, und es tut mir leid, dass du in den letzten Wochen einen Teil von deiner natürlichen Heiterkeit verloren hast.«
»Ich arbeite daran.«
»Das brauchst du nicht, wenn dir im Moment nicht danach ist … Du hast das Recht, deine Gefühle auszuleben, wie immer sie aussehen mögen.«
Ähnliches hatte Owen zu ihr gesagt, erinnerte sich Avery. Ein Satz, der wie das Streicheln ihres Haares unglaublich tröstend wirkte.
»Ich trau mich jetzt was und sag dir meine ehrliche Meinung über deine Mutter. Vielleicht hätte ich das schon vor Jahren tun sollen. Traci war und ist eine flatterhafte, egoistische Person, die nie mit etwas zufrieden war und anderen immer die Schuld daran gab. Und wenn sie etwas bekam, war es nie richtig oder genug, und schuld waren wieder die anderen. Aber du, Avery, du bist das genaue Gegenteil von ihr. Ich hab dich aufwachsen sehen und weiß genau, was für ein Mensch du bist.«
»Glaubst du, sie hat mich jemals geliebt?«
»Ja«, erklärte Justine nachdrücklich und drückte Avery die Hand. »Das hat sie damals getan und tut es nach wie vor. Nur eben nicht genug.«
»Das ist ja vielleicht noch schlimmer.«
»Möglich, aber es ist nicht deine Schuld. Nichts von alledem ist deine Schuld, Schätzchen. Die Schuld trägt Traci ganz alleine, und ich hoffe, dass du das
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