Lilientraeume
alleine und in aller Ruhe nachzudenken.« Sie tippte sich gegen die Stirn. »Du weißt doch, wie ich bin.«
»Wenn ich das nicht wüsste, würde ich dich ganz bestimmt nicht gehen lassen. Hope?«
»Was?«
»Es ist der totale Wahnsinn, oder?«
»Das kannst du laut sagen.«
Nachdem Hope gegangen war, kehrte Avery ins Wohnzimmer zurück und blickte Owen an. »Irre.«
»In der Tat«, murmelte er nachdenklich. »Ich versuch gerade zu überlegen, warum ich mich überhaupt näher mit der Schwester beschäftigt habe. War wohl so eine Art Eingebung. Oder es hat mich aus einem bestimmten Grund interessiert, schwer zu sagen. Versprochen hab ich mir jedenfalls nichts von dieser Spur. Und jetzt? Ich weiß, dass es Zufälle gibt, aber das geht eindeutig darüber hinaus.«
»Und was soll es sonst sein? Schicksal?«
»Das würde ich stark annehmen.« Er stand auf und wanderte durch den Raum. »Du bist in Boonsboro geboren und aufgewachsen, Hope in Philadelphia. Auf dem College lernt ihr euch kennen, teilt ein Zimmer, werdet Freundinnen. So gute, dass eure Freundschaft die Jahre übersteht und Hope auf deine Veranlassung hin die Managerposition in dem Hotel annimmt, dessen Renovierung sich meine Mutter in den Kopf gesetzt hat und in dem eine junge Frau herumspukt, die sich plötzlich als ferne Verwandte von Hope entpuppt.«
Avery begeisterte sich immer mehr für die Geschichte. »Du vergisst die Details. Eigentlich sah es doch aus, als würde Hope den Job nie annehmen. Weil sie ganz andere Hotels geführt hatte und für so einen kleinen Laden wie das BoonsBoro Inn überqualifiziert war. Und sie wollte ursprünglich nicht in einer Kleinstadt leben. Dass sie trotzdem herkam, das müsste dann ebenfalls Fügung gewesen sein. Irgendjemand da oben hatte offenbar seine Hand im Spiel.«
»So muss man es wohl sehen. All diese Wendungen und Umwege führten am Ende dazu, dass Hope jetzt unter einem Dach mit Lizzy lebt. Hoffen wir, dass diese Entwicklung uns hilft, auch noch die Wahrheit über Billy herauszufinden.«
»Glaubst du, dass sie das alles weiß – Eliza, meine ich?«
»Keine Ahnung. Aber vermutlich eher nicht. Sonst hätte sie bestimmt mehr Kontakt zu Hope hergestellt. Bisher hat sie sich ja ziemlich an uns drei Brüder und an dich gehalten.«
»Vergiss Murphy nicht. Schließlich hat er sie, wenn uns nicht alles täuscht, zuerst gesehen.«
»Kinder«, stellte Owen schulterzuckend fest. »Ihnen fällt es leicht, an Unmögliches und Unsichtbares zu glauben. Wir Erwachsenen tun uns da erheblich schwerer.
Er sah sie grinsend an. »Das ist ja megacool und mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Was meinst du jetzt schon wieder?«
»Deine Haare. Sie sind wieder original Avery. Nichts mehr von Granat und Kupfer und weiß der Teufel was.« Er fuhr mit seinen Fingern durch die rotgoldene Pracht. »Dein Haar ist wunderschön, so wie es ist.«
»Ja, ich dachte, es sei mal wieder an der Zeit, mehr ich selbst zu sein. Um auszuprobieren, wie sich das anfühlt.«
»So gefällst du mir am besten.«
»Wirklich?« Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Und warum hast du das bisher nie gesagt?«
»Weil es deine Haare waren, obwohl sie nicht so aussahen … Nein, ich wollte dir nicht dreinreden.« Er beugte sich etwas vor und schnupperte. »Es fühlt sich nach deinen Haaren an, riecht nach deinen Haaren, und jetzt sieht es auch wieder so aus. Endlich, denn ich bin total verrückt nach deinen Haaren.«
»Also bitte.«
»Und weißt du was? Ich hab noch nie mit dir geschlafen ohne schrill gefärbte Haare.«
Sie begann zu lachen und lachte immer noch, als er sie in seine Arme zog.
»Das sollten wir schleunigst nachholen. Für eine Vergleichsstudie sozusagen.«
»Gute Idee«, stimmte er ihr zu und trug sie zum Bett.
20
Am Tag der Hochzeit erstrahlte das BoonsBoro Inn in einem schier märchenhaften Glanz. Dafür sorgten schon die Blumenfülle und der weiche Schein von unzähligen Kerzen, die im ganzen Haus verteilt standen.
Selbst der Wettergott präsentierte sich seit Tagen in bester Laune und beschenkte das Brautpaar und seine Gäste mit einem leuchtend blauen, wolkenlosen Himmel, der sogar trotz der frühen Jahreszeit eine Feier im Freien erlaubte. In der Luft lag ein betörender Duft nach Rosen und Lilien, in den sich ein süßer Hauch von Geißblatt mischte.
Im Titania-und-Oberon-Zimmer, das sich mit seinem elfenhaften Charme für eine Braut geradezu anbot, stieg Clare vorsichtig in ihr Hochzeitskleid, atmete tief durch und
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