Lilientraeume
der Hund seinem Herrn ins Wohnzimmer, wo Harry sie bereits jubelnd empfing. »Ich bin einfach unschlagbar! Hab ich es nicht gesagt?«
Clare hielt mit ihren Vorbereitungen inne, blickte auf das Treiben in der Küche, hörte das Gelächter ihres Vaters und die Stimme von Justine aus dem Esszimmer und ging hinüber ins Wohnzimmer, wo um den Baum herum die bereits ausgepackten Geschenke auf dem Boden lagen, die Kinder spielten und Cus vor dem flackernden Kaminfeuer schlafend auf dem Rücken lag, die Pfoten in die Luft gereckt. Der Lärm ringsum schien ihn nicht im Geringsten zu stören.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« Owen trat plötzlich hinter sie und berührte ihre Schulter. Lächelnd drehte sie sich zu ihm um, schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte ihren Kopf an seine Brust.
»Es ist alles bestens. Ganz genauso, wi e ’s sein soll.«
10
Ein paar Tage nach Weihnachten kaufte Avery sich eine eigene Wii. Bisher hatte sie der Versuchung tapfer widerstanden – schließlich war sie täglich derart lange auf den Beinen, dass ihr keine Zeit zum Spielen blieb. Und vor allem machte es, wenn man alleine spielte, keinen echten Spaß.
Sie war früher bei diesem Spiel recht gut gewesen, aber inzwischen völlig aus der Übung. Wie ihr die doppelte Niederlage gegen Harry am Weihnachtstag gezeigt hatte. Erst beim Boxen und dann auch noch beim Bowlen. Schlimmer noch: Selbst die vierjährige Enkelin von Carolee hatte besser abgeschnitten als sie. Jetzt würde sie so lange üben, bis sie ein glänzendes Comeback feiern und alle fertigmachen konnte. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Als ob sie nicht auch so schon alle Hände voll zu tun hätte, zumal einer ihrer Lieferfahrer ausgefallen war.
Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, Hope bei den letzten Handgriffen in ihrer Wohnung zu unterstützen, und verbrachte, was bestimmt kein Opfer war, eine Probenacht in der Westley-und-Butterblume-Suite. Daneben begann sie intensiv mit den Vorbereitungen für das neue Restaurant und fertigte erste Skizzen für Aufteilung und Einrichtung der Räume. Jeden Abend, ehe sie ins Bett ging, blickte sie noch einmal aus dem Fenster auf die beiden Häuser, in denen sich bald ihre Lokalitäten befinden würden, und dachte an Owen, den sie seit Weihnachten kaum zu Gesicht bekommen hatte.
Zweimal kam es ihr so vor, als würde sie auf dem Balkon des BoonsBoro Inn die Silhouette einer Frau sehen, die suchend die Straße überblickte. Die auf Billy wartete und einem Mann über den Tod hinaus die Treue hielt. Avery, die sich für solche romantischen Geschichten begeistern konnte, hoffte sehr, eines Tages dem Geheimnis in den alten Mauern des Hotels dort drüben auf die Spur zu kommen. Wenn sie am Morgen erneut hinüber zum Fenster und Balkon des E&D blickte, konnte sie nie etwas Außergewöhnliches entdecken.
Die Tage bis Silvester vergingen wie im Flug. Um sechzehn Uhr schloss sie das Restaurant, trug die vorbereiteten Frikadellen in ihren Wagen, rannte in ihre Wohnung und war um fünf geduscht, geföhnt, geschminkt und angezogen. Silvester konnte beginnen. Eine kleine Reisetasche stand fertig gepackt neben der Tür. Diesmal waren darin nicht etwa ein warmer Flanellpyjama und dicke Socken, sondern verführerische, hauchdünne Dessous.
Wie würde es wohl sein, wenn sie mit Owen schlief?
Hör auf, ermahnte sie sich. Denk nicht darüber nach, versuch dir nicht vorzustellen, wie es wird, stell keine wilden Mutmaßungen an. Am besten ließ sie den Dingen ihren Lauf und wartete ab. Was allerdings leichter gesagt als getan war.
Auf dem Weg nach draußen schrieb sie eine SMS an Hope. »Komme schnell bei dir vorbei, ob mein Outfit in Ordnung ist.«
Noch ehe sie den Motor ihres Wagens angelassen hatte, schrieb Hope zurück. »Stets zu Diensten.«
Avery fuhr auf den Parkplatz hinter dem Hotel, und noch während sie aus ihrem Wagen sprang, öffnete Hope bereits die Tür zur Rezeption. Sie lief die Treppe hoch, warf ihren Mantel über den hochlehnigen Stuhl vor dem Kamin und drehte sich einmal um sich selbst. »So, wie findest du mich?«
»Dreh dich ein bisschen langsamer.«
»Okay.« Sie atmete tief durch. »Ich bin ein bisschen aufgeregt. Erst hatte ich einen grauenhaften Tag, von dem ich dir später berichten werde, und dann konnte ich mich nicht entscheiden, welche Ohrringe ich tragen soll. Und wenn mir das passiert, dann bin ich wirklich ziemlich durch den Wind … Na ja, ist eigentlich kein Wunder, denn immerhin werde ich mit Owen
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