Lilith Parker: Insel Der Schatten
hing schief in den Angeln. Es sah aus, als sei ein Tornado durch das Zimmer gefegt. Schulhefte, Bücher, Blusen, Hosen, T-Shirts – Liliths gesamtes Hab und Gut lag überall verstreut auf dem Boden. Lilith schloss das Fenster und besah sich fassungslos den Schaden. Ihr alter Teddy baumelte mit aufgeschlitztem Bauch und hervorquellenden Baumwollinnereien von der Nachttischlampe, die Matratze lehnte an der Wand und ihr Tagebuch lag zerfetzt auf dem Schreibtisch. Lilith hatte zwar nur selten etwas hineingeschrieben, trotzdem schmerzte sie der Anblick. Selbst die Schneekugel mit der Miniaturnachbildung des Londoner Big Ben lag zerbrochen am Boden. Ihr Vater hatte Lilith die Schneekugel geschenkt, als sie noch klein war, und Lilith hatte sie für Zeiten des Heimwehs mit nach Bonesdale genommen.
Sie kniete sich neben dem Schreibtisch nieder, um ein Foto von sich und ihrer Freundin Thea aufzuheben. Liliths Herz setzte einen Schlag lang aus. Ein gespitzter Bleistift hielt das Bild am Flickenteppich fest. Die nadelspitze Mine des Bleistifts ging direkt durch Liliths Stirn! Mit zitternden Fingern zog sie den Stift heraus.
Das ist sicherlich nur ein Zufall, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, wahrscheinlich ist demjenigen, der das Chaos hier verursacht hat, der Bleistift einfach runtergefallen. Wenn sie allerdings an den aufgeschlitzten Teddy oder das zerrissene Tagebuch dachte, hatte sie eher das Gefühl, der Einbrecher wollte ihr damit eine Art Drohung hinterlassen.
Lilith eilte nach unten, wo Mildred, Isadora, Melinda und Arthur zwischen einem gewaltigen Kleiderberg saßen. Sie hatten gerade eine Ladung Kostüme bekommen, die bis zum großen Halloweenfest ausgebessert werden mussten.
»Jemand hat mein Zimmer verwüstet!«, berichtete Lilith atemlos.
Arthur zwinkerte ihr zu. »Das habe ich meinen Eltern auch immer versucht weiszumachen, wenn mein Zimmer mal wieder nicht aufgeräumt war.«
»Nein, es ist mein voller Ernst!«, sagte Lilith mit Nachdruck. »Alle Schubladen wurden herausgerissen und viele meiner Sachen sind zerstört. Es sieht aus, als ob jemand etwas gesucht hätte.«
Mildred sah betroffen auf. »Oh, das tut mir leid. Ich werde dir nachher beim Aufräumen helfen, okay? Vielleicht können wir einige deiner Sachen reparieren«, versuchte sie Lilith aufzumuntern. »Wenn Hannibal eine Schuhfährte aufgenommen hat, ist er leider nicht mehr zu stoppen.«
»Ich glaube nicht, dass es Hannibal gewesen ist.«
»Wer soll es denn sonst gewesen sein?«, fragte Isadora gereizt. »Du verdächtigst doch wohl niemanden von uns?«
»Nein«, wehrte Lilith erschrocken ab. »Aber Hannibal kann sicherlich keine Schubladen und Schränke öffnen oder die Matratze aus dem Bettkasten wuchten.« Liliths Blick fiel auf Hannibals leeren Schlafplatz und seine volle Futterschüssel. »Der Hund ist noch nicht einmal hier im Haus gewesen, er kann es gar nicht gewesen sein.«
»Und wer soll deiner Meinung nach dein Zimmer verwüstet haben?«, fragte Mildred mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Gerade als Lilith den Mund öffnete, um Mildred von ihrem Verdacht zu erzählen, ging die Tür auf und Nekrobas betrat mit einem entspannten Lächeln den Raum.
»Sie waren es!«, fauchte Lilith ihn an. »Sie haben mein Zimmer durchwühlt und dieses Chaos angerichtet.«
Nekrobas hob in einer unschuldigen Geste die Hände. »Ich war den ganzen Tag unterwegs und habe mir die Insel angesehen. Deine Tante wird sicherlich bestätigen, dass ich nicht im Haus war.«
Das glaubte Lilith gern. Mildred und die anderen waren anscheinend sowieso immer auf Nekrobas’ Seite. Aber so leicht würde sie sich nicht geschlagen geben!
»Wahrscheinlich sind Sie durch das geöffnete Fenster …«
Eine Faust, die mit einem lauten Knall auf dem Tisch landete, ließ Lilith innehalten.
»Du benimmst dich jetzt, junge Dame!«, forderte Mildred in schneidendem Ton. »Wahllos andere Leute zu beschuldigen, dein Zimmer verwüstet zu haben, geht eindeutig zu weit. Du entschuldigst dich jetzt sofort bei Elia.«
Mildred fixierte Lilith mit stechendem Blick. Lilith hatte wohl keine andere Wahl.
»Es … tut mir leid«, würgte sie hervor. Vor Wut standen Tränen in ihren Augen, was Nekrobas mit einem amüsierten Lächeln quittierte.
Sie schnappte sich ihre Jacke von der Garderobe, drängte sich an ihm vorbei und stürmte aus dem Haus.
Im Garten blieb sie einen Moment lang stehen und sog mit geschlossenen Augen die frische Luft ein. Sie hörte das Zuschlagen der
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