Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
Laboratorium, als sie über moralische Grundsätze diskutiert hatten und er so vehement dafür eingetreten war, dass man die Dämonen nicht vorschnell als böse abstempeln durfte. Nun wurde ihr klar, dass er damit auch für sich selbst gesprochen hatte. Offenbar wusste er, dass sein Vater ihn aufgrund seines Verhaltens für einen gemeingefährlichen Charakter hielt, und konnte dies absolut nicht nachvollziehen. Aber hatte Nikolai, indem er gegen diese Ungerechtigkeit rebellierte und seiner Familie derart in den Rücken fiel, seinem Vater im Endeffekt nicht recht gegeben?
»Aber warum hat er mich hierhergebracht? Ich habe ihm doch überhaupt nichts getan.«
» Für alles, was Nikolai tut, hat er seine objektiven, logischen Gründe. Ich schätze, du wurdest eine Gefahr für ihn.«
Sie dachte an ihr letztes Zusammentreffen mit Nikolai zurück, bei dem sie ihm von dem Zeichen auf Vadims Brust erzählt und es ihm in allen Einzelheiten beschrieben hatte. Im Gegensatz zu Lilith wusste ein Mann mit seiner Bildung wahrscheinlich sofort, was es zu bedeuten hatte. Dass er daraufhin Lilith entführte, bestätigte leider Vadims Verdacht, dass Nikolai ihn umgebracht hatte, so ungeheuerlich dieser Gedanke auch sein mochte. Warum sollte er es sonst für ein Risiko halten, dass Lilith der Geist seines verstorbenen Vaters erschien? Allerdings rätselte sie immer noch, wie Nikolai die Banshee-Halluzinationen ausgelöst haben könnte.
»Er hat uns alle getäuscht«, sagte Vadim düster. »Dich, sein Volk, mich und André …«
Erst in diesem Moment fiel Lilith wieder ein, dass nicht nur sie, sondern auch André in Gefahr schwebte. Er hatte keine Ahnung, was sein Bruder im Schilde führte.
»Wir müssen so schnell wie möglich zurück, um André zu warnen! Solange niemand weiß, was es mit diesen fehlerhaften Runen auf sich hat, darf er sich nicht für den Thron bewerben und muss das Blutstein-Amulett ablegen.«
Vadim warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Ich stimme dir von ganzem Herzen zu – du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich um André sorge. Aber erlaube mir die Bemerkung, dass wohl kaum jemand, der in deiner schrecklichen Lage steckt, auch nur einen Gedanken daran verschwenden würde, einen anderen zu retten.«
Rebekka würde das sicherlich als Zeichen ihrer außergewöhnlichen Dummheit und Gefühlsduselei interpretieren, dachte Lilith bitter. Vielleicht war es aber auch nur leichter, sich um André zu sorgen, als sich mit der Ausweglosigkeit ihrer eigenen Situation auseinanderzusetzen.
»Die Nocturi können sich glücklich schätzen, dass ihre Führerin ein so großes Herz hat«, stellte Vadim fest. »Mitgefühl ist eines der wichtigsten Attribute eines guten Anführers.«
Lilith musste zugeben, dass es nach Rebekkas harten Worten guttat, solch ein Lob von einem ehemaligen Amulettträger zu hören. Sie hätte gerne noch einmal mit Rebekka über dieses Thema gesprochen, auch wegen ihrer Behauptung, die Nocturi sähen lieber sie als Lilith auf dem Thron. Dafür musste sie allerdings zuerst einmal aus diesem schrecklichen Höhlensystem herauskommen.
»Gibt es vielleicht einen anderen Ausgang? Als wir in Rumänien angekommen sind, wollte André uns eigentlich über eine öffentliche Tropfsteinhöhle nach Chavaleen führen.«
»Wir könnten natürlich danach suchen, aber leider haben wir keine Ahnung, in welche Richtung wir uns dazu wenden müssen. Wenn wir Pech haben, bringt dich jeder Schritt tiefer unter die Erde und das Licht deines Amuletts ist für eine Kletterpartie über spitze Felsen und schmale Durchgänge nicht ausreichend.«
»Aber ich muss irgendetwas tun und mich bewegen! Meine Finger und Zehen sind schon taub vor Kälte.«
Da sie mit einer Hand das Amulett in die Höhe hob, vergrub sie wenigstens die andere in ihrer Sweatjacke, um sie aufzuwärmen. Dabei entdeckte sie in der Tasche einen länglichen metallischen Gegenstand, der sich als eine kleine Taschenlampe entpuppte. Anstatt einen Freudenschrei auszustoßen, starrte sie ihren Fund in stummer Verblüffung an, denn vor Nikolais Entführung hatte Lilith garantiert keine Lampe bei sich gehabt. Jemand musste sie ihr in die Tasche gesteckt haben! Vielleicht der Mann, der Nikolai begleitet hatte? Er hatte immerhin auch dafür plädiert, sie am Leben zu lassen. Als sie an das Gespräch zurückdachte, wurde ihr auch klar, dass sie dessen Stimme schon einmal gehört hatte – seine Art zu sprechen, war unverkennbar. Der Mann in Nikolais
Weitere Kostenlose Bücher