Lilith - Wunschlos gluecklich
ihnen entgegen und gab Lilith ihr Handy lächelnd zurück. Sie bedankte sich und verbeugte sich wie eine kleine Chinesin vor ihm, bevor dieser wieder in der Menschenmenge verschwand und seines Weges ging. Sofort drückte sie den Menüknopf und sah sich die beiden Bilder an.
»Du bist da …« Sie staunte. »Du stehst wirklich neben mir.«
Er beugte sich über Liliths Schulter und erhaschte einen Blick auf die Bilder. »Natürlich. Die nächsten fünf Stunden bin ich fast wie du, fast wie alle Menschen hier. Und nun steck das Handy wieder ein, wir müssen weiter.«
»Weiter?«
Luc nickte, hielt mit seiner rechten Hand die ihre fest umschlungen und schnippte mit der linken. Nur Sekunden später standen sie zusammen unter dem Triumphbogen. Da sie nicht auf normalem Weg hierhergelangt waren, ersparten sie sich den Weg durch die Unterführung. Diese führte die Besucher normalerweise auf die Mittelinsel des Platzes Etoile, Charles de Gaulle, auf dem der Triumphbogen gebaut worden war. Für Normalsterbliche wäre eine Überquerung des Platzes zu Fuß nicht nur unmöglich, sondern auch viel zu gefährlich gewesen. Von dem ungefähr fünfzig Meter hohem Monument hatte man eine wunderbare Aussicht über die ganze Stadt. Lilith stand staunend vor Luc. Er hatte seine Hände von hinten um sie geschlungen und sie lehnte mit ihrem Kopf an seiner Brust.
Luc fragte sich, für wen er dies hier eigentlich tat. Wirklich für sie? Oder eher für sich? Wer würde ihre gemeinsame Zeit wohl am Ende am meisten vermissen? Sie oder er?
Ein Aufseufzen riss ihn aus seinen Gedanken. Ihre Hände klammerten sich an seinen fest, und er spürte ihr gesamtes Gewicht auf sich ruhen. Es war ein gutes Gefühl, sie so nah an sich zu wissen. Nicht darauf achten zu müssen, ob sie irgendjemand beobachtete und Liliths Gebaren für unnatürlich hielt.
»Sollen wir weiter?«
Sie drehte sich nicht zu ihm um, verharrte in seiner Umarmung. »Wie? Es gibt noch mehr zu sehen?«
»Klar.« Und schon standen sie auf der Avenue des Champs Élysées, am Fuß des Triumphbogens. Hier residierten die Geschäfte der größten Luxusmarken. Sämtliche Artikel aller namhaften Hersteller waren hier zu finden. Ein Paradies für Shoppingsüchtige.
Sie schlenderten Hand in Hand den breiten Boulevard entlang. Nacheinander ließen sie Geschäfte mit Pelzen, Designerklamotten, teurem Schmuck, Schuhen, Taschen und sonstigen Accessoires hinter sich. Liliths Blick schweifte zwar von Geschäft zu Geschäft durch die Fensterauslagen, doch egal, was Luc ihr auch kaufen wollte, sie lehnte immer ab.
»Danke, aber ich brauche so einen Schnickschnack nicht. Du bist mir genug«, betonte sie immer wieder aufs Neue.
Als sie den Boulevard hinter sich ließen, zog es sie wieder in höhere Gefilde. Sie saßen in warme Decken gehüllt auf den kühlen Stufen der Basilika Sacré-Coeur auf dem Montmartre und genossen bei warmem Baguette und einem Glas wohltemperiertem Wein erneut die Aussicht über die Stadt. Sie ignorierten die anderen Touristen um sich herum und sahen zu, wie sich der Himmel über ihnen in leichte, zart rosafarbene Töne tauchte, während die Sonne sich langsam vom Tag verabschiedete und der Nacht die Hand zum Tanz reichte.
Lilith hatte sich dicht an ihn geschmiegt und ihre Beine, samt der kuschelweichen Decke, über seine Schenkel geschwungen. Sie drehte ihr inzwischen leeres Weinglas zwischen zwei Fingern und hob den Blick gen Firmament. Sie seufzte. »Das war ein schöner Tag heute. Danke.«
»Na ja, einen Tourpunkt hätte ich noch …« Luc ließ den Brotkorb und die Gläser verschwinden und wünschte sie beide zur Bibliothèque nationale de France. Dieses Gebäude war erst 1996 eröffnet worden. Dennoch befanden sich hier mittlerweile viele historische und zeitgenössische Schriften, und, so dachte er, weil Lilith ja Bücher so sehr liebte, wäre eine Führung genau das Richtige für sie.
Er hatte recht. Sie war fasziniert von dem Gebäude, von den Büchern, den Vorträgen und von ihm. Seit mehreren Minuten klebte ihr Blick förmlich nur noch an ihm, ihr Interesse an den Büchern war erloschen. Er wusste auch, weshalb, und woran sie dachte. Die Uhr tickte, ihre unbeschwerte Zeit war beinahe vorbei. Auch wenn Luc das Ende gern noch etwas hinausgezögert, gar auf ewig verlängert hätte, waren sechs Stunden Normalität alles, was er Lilith ohne Gefahr bieten konnte.
In absolut brenzligen Situationen, was abzuschätzen ganz allein im Ermessen des jeweiligen
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