Liliths Hexenhöhle
als wäre er so etwas wie ein Highlight in einer Geisterbahn, an deren Ende eben das große Ziel lag.
Ich ging einfach weiter. Es gab eine Distanz, die ich überbrücken musste, aber ich hatte dabei den Eindruck, sie nicht messen zu können. Die Frau konnte in Greifweite auf mich warten, aber auch meilenweit entfernt sein.
An meine Freunde dachte ich eher als an eine Umkehr. Bill und Suko würden sich ärgern, das wusste ich, aber es war nichts daran zu ändern. Diesmal hatte man mich geholt, und es war schließlich mein Kreuz gewesen, das mir dieses Tor in die Vorhölle oder wo immer das Ziel auch liegen mochte, geöffnet hatte.
Und so bewegte ich mich weiter, ohne richtig gehen zu müssen. Alles ging wie von allein. Da konnte ich die Unterlage schon mit einem Transportband vergleichen.
Es gab auch nichts um mich herum, das mich gestört hätte, keine lauten Stimmen, keine Geräusche.
Keine Musik, die man als Höllenmusik hätte ansehen können, die Stille war schon plastisch. Und nur weiter vorn wartete noch immer die Person auf mich, deren Namen ich nicht einmal kannte. Es hatte auch andere Tunnels in die andere Welt gegeben, aber sie waren für Menschen geschlossen.
Auf einmal war ich am Ziel.
Sehr plötzlich. Fast im Zeitraffertempo. Ich hörte eine leise Stimme. Es war die Gleiche, wie ich sie schon aus meiner Welt kannte. »Willkommen bei uns...«
Wen oder was die Stimme damit meinte, wusste ich nicht. Ich wartete einfach ab. Die Frau vor mir bewegte sich. Sie hob ihren Arm an, um nach meiner Hand zu fassen, die ich allerdings zurückzog, da ich auf die Berührung verzichten konnte.
»Wer bist du?«, fragte ich stattdessen.
»Eine Verlorene.«
»Ach ja.«
»Du sollst mich retten. Du sollst uns retten. Nur du kannst es. Nur du bist dazu in der Lage. Befreie uns.«
»Wovon soll ich euch befreien?«
»Von den Qualen. Von den schrecklichen Qualen, die wir erleiden müssen.«
Das ließ ich erst mal so stehen. Mir kam alles vor wie eine Schmierenkomödie, die letztendlich darin mündete, dass ich in eine Falle gelockt werden sollte.
»Tut mir Leid, aber ich sehe nichts, was euch Qualen bereiten könnte. Es ist alles anders hier, das stimmt, aber ich kann mir nicht vorstellen, in welch einer Welt ich mich befinde. Du und deine Freundinnen, ihr habt den Satan angerufen. Ihr seid ihm hörig, und nun willst du, dass ich euch befreien soll? Gehören die Qualen, ob seelische oder körperliche, nicht dazu? Habt ihr euch nicht freiwillig dafür entschieden, dem Satan zu dienen?«
»Ja, haben wir.«
»Dann darf sich keine von euch beschweren.«
»Aber es ist nicht er, der uns willkommen geheißen hat. Es ist nur eine Station auf dem Weg zu ihm. Wir sind nicht in seinen Armen gelandet, man hat uns woanders hingeführt. Zu ihr, zu Lilith, der Frau, die schon ewig existiert und so sein will wie der Satan. In ihr Reich sind wir gelangt, und sie hat uns das geraubt, was den Menschen ausmacht, unsere Seelen.«
»So ist das also«, murmelte ich.
»Deshalb sind wir tot. Wir sind keine richtigen Menschen mehr. Wir schweben zwischen Tod und Leben. Wir müssen die Qualen hinnehmen, alle, die sie für uns bereit hält. Wir sind in ihrem Reich, bei Lilith, und nur du kannst uns erlösen.«
»Ihr wollt in den Tod gehen?«
»Nur die Erlösung haben.«
»Das käme auf das Gleiche hinaus.«
»Nein, nicht für uns. Wenn wir unsere Seelen zurückerhalten, dann sind auch die Korridore geschlossen. Jeder Gang ist eine andere Seele. Jeder Korridor steckt voller Gefühle. Lilith nahm uns die Psyche. Sie ist eine grausame Räuberin, und wir sind so leer geworden. Deshalb erleben wir nichts mehr. Keine Freude, keinen Schmerz, kein Lachen, kein Weinen. Sie hat uns alles genommen.«
Es war zwar schwer zu begreifen, doch ich machte mir jetzt keine weiteren Gedanken darüber und versuchte auch nicht, den Zustand zu analysieren.
Aber ich hatte eine Frage, und damit hielt ich nicht hinter dem Berg. »Dann sehen wir beide jetzt in deinen Seelenkorridor, wenn ich dich richtig verstanden habe.«
»Ja, so hat Lilith es sich gedacht.«
»Und wo führt er hin?«
»Ins Ziel!«
»Zu ihr?«
»In die Hexenhöhle. In das Zentrum. Dort hat sie die Herrschaft übernommen.«
Da war einiges auf mich eingestürmt, und ich fragte mich, was ich davon alles glauben sollte. Ich wusste, dass es die unwahrscheinlichsten Dinge gab. Ich hatte Fälle erlebt, bei denen das reale Leben völlig auf den Kopf gestellt wurde, und gerade hier sah alles
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