Liliths Hexenhöhle
es gab auch Licht. Es war so verteilt, dass alle wichtigen Positionen erhellt wurden.
Vor mir lag wirklich eine gewaltige Höhle mit leicht gebogener Decke. Sie bestand aus dunklen Steinen, die für mich aussahen, als würde der Ruß auf ihnen kleben. Das Licht konzentrierte sich nicht auf einige Lampen, es drang vielmehr aus verschiedenen Quellen in die große Höhle hinein.
Sie war nicht leer.
Je stärker das Licht wurde, um so mehr bekam ich zu sehen, und schon beim ersten flüchtigen Hinschauen dachte ich sofort an eine Folterhöhle.
Ich sah die Frauen!
Und sie waren alles andere als erlöst, denn sie konnten sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen. Es waren genau die Personen, die Bill, Suko und ich auch bei der Feier beobachtet hatten. Sie trugen noch die gleiche Kleidung, die uns auch dort schon aufgefallen war. Kurze Kleider aus Leder oder engem Stoff. Lederriemen um Arme oder Hälse, aber keine von ihnen war in der Lage, sich aus eigener Kraft zu bewegen, denn man hatte sie gefangen.
Sie standen auf dem Boden und berührten ihn soeben noch mit den Füßen. Die Arme allerdings hielten sie in die Höhe gereckt. Dort waren ihre Hände gefesselt, und diese Fesselbänder hingen von Haken an der Decke herab nach unten.
Mein Blick traf eine dunkelhaarige Frau, die einen schwarzen und sehr knappen Bikini trug. Da sie sich in meiner Nähe aufhielt, war sie gut zu erkennen. Ich hatte damit gerechnet, den Ausdruck eines Schmerzgefühls auf dem Gesicht zu sehen. Das allerdings war ein Irrtum, denn sie lächelte mich an, und zwischen den Lippen entdeckte ich das Blitzen der hellen Zähne.
»Was soll das?«, fragte ich Norma.
»Es ist unsere Welt!«
Diesmal lachte ich. »Eine tolle Welt, in der die Bewohner nur Gefangene sind.«
»Lilith will es so.«
»Klar, das habe ich mir gedacht. Und ich frage dich deshalb, warum sie es so will.«
»Es sind die Regeln. Wir sind ihre Komplizen und zugleich ihre Dienerinnen. Es sind auch Prüfungen, die uns später die höheren Weihen ermöglichen.«
»Etwa die Weihen der Hölle?«
Sie lächelte geheimnisvoll, bevor sie fragte: »Ist die Hölle nicht sehr vielschichtig?«
»Bestimmt.«
»Es gehört alles dazu.«
»Aber es sieht auch menschlich aus.«
»Man muss den Menschen eben etwas bieten, die hierher kommen. Genau das haben wir getan. Sie sollen sehen, in welch eine Welt sie hineingeraten sind, und sie sollen auch nicht so enttäuscht sein. Wir waren es ebenfalls nicht.«
»Was genau heißt wir? Wer seid ihr? Fühlt ihr euch denn noch als normale Menschen?«
»Wir sind Hexen, verstehst du? Hexen sind wir. Wir dienen Lilith. Ist sie denn nicht die Mutter aller Hexen? Ist sie nicht eine Urmutter? Hat sie nicht dafür Sorge getragen, dass die Hexen überhaupt erst existieren konnten?«
»So gut kenne ich sie nicht.« Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber die wollte ich Norma Ray nicht unbedingt auf die Nase binden.
Lilith wurde in manchen Schriften tatsächlich als die erste Hure des Himmels bezeichnet. Sie versuchte sogar, den Erzengel Michael zu verführen, was ihr nicht gelang. Beim großen Kampf der Engel gegen ihren Artgenossen Luzifer wurde dieser von Michael besiegt und in die ewige Verdammnis und Dunkelheit gestoßen. Er hatte versucht, gottgleich zu werden, und mit ihm stürzten auch Lilith und zahlreiche Engel in die Tiefe, die auf seiner Seite gestanden hatten.
An Aufgabe war dabei nicht zu denken gewesen. Das Böse gibt nie auf, und die Helfer des Luzifer hatten die langen Zeiten ebenso überdauert wie er selbst.
Vor mir lag einer seiner Stützpunkte, in dem Lilith die Chefin war, die sich auch jetzt noch um alles Weibliche kümmerte, um andere jedoch weniger wie die Kreaturen der Finsternis, die auch in den Urzeiten entstanden waren.
»Du lügst schlecht, John Sinclair!«
»Warum?«
»Weil man dich kennt.«
»Hier?«
»Ja, auch Lilith.«
Ich hob die Schultern. »Bisher haben wir nur immer über sie geredet, und ich frage mich, wo sie steckt. Ist doch komisch, dass ich in ihrer Welt stehe und sie noch nicht zu Gesicht bekommen habe.«
»Keine Sorge, das wirst du noch. Sie erwartet dich sehnsüchtig. Sie wird dich schon in ihrem Reich begrüßen. Es gibt Ereignisse, auf die man lange wartet und die gut vorbereitet sein müssen. Ein solches Ereignis ist jetzt eingetreten, John Sinclair...«
Die Worte gaben mir zu denken. Dann war dieser gesamte Vorlauf des Falls kein Schicksal und auch kein Zufall, sondern er war sorgfältig
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