Liliths Kinder
dem Netz ihrer Überlegungen, die doch stets fruchtlos blieben und nur neue Fragen aufwarfen.
»Glaubst du, daß -«, begann er und suchte sichtlich nach geeigneten Worten, »- daß die Grenzen um Mayab irgendwann fallen werden?«
Etwas wie trübes Licht, das Lilith unschwer als Hoffnung erkannte, stahl sich in den Blick seiner dunklen Augen. Die Erkenntnis schmerzte sie. Weil sie fürchtete, die Hoffnung Bonampaks enttäuschen zu müssen.
Sie wußte nicht viel über die Beschaffenheit des Walls, der Mayab von der Welt draußen abschottete. Aber sie ahnte doch, daß die Macht dahinter von solcher Größe sein mußte, daß jeder Versuch, dagegen anzugehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein mußte.
Andererseits -
Bonampaks nächste Frage kam Liliths eigener Überlegung zuvor. Er stellte sie so zögerlich, als fürchte er die Antwort - oder als hielte er sie für frevlerisch.
»Bist du -«, setzte er an, schluckte hart und fuhr dann zaudernd fort: »- ich meine, kannst du . Mayab verlassen, wie es dir beliebt? Hast du selbst die Macht, die Grenze zu überwinden?«
In den Augen des Maya paarten sich Hoffnung und Furcht, als spiegle sich darin der Widerschein eines Feuers.
Die Antwort auf seine Frage mußte Lilith ihm schuldig bleiben. Nicht einmal für sich selbst vermochte sie die Frage zu beantworten. Weil sie selbst nie versucht hatte, Mayab zu verlassen.
Dennoch war Lilith an dieser Antwort interessiert. Nun, da ein anderer die Frage gestellt hatte, mehr denn zuvor. Und sie würde sie finden - - noch heute.
Jetzt.
Lilith verabschiedete sich von Bonampak und dessen Frau. Einen Augenblick lang verweilte sie noch, vor Selva kniend und lächelnd das kleine Kind betrachtend, das in deren Armen schlief - friedlich und still, weil es noch nicht wußte, von welch grausamer Art die Welt war, deren schwaches Licht es vor wenigen Tagen erst erblickt hatte.
Lilith erhob sich, und sie wirkte mit einemmal gekräftigt, entschlossen.
Allein für dieses Kind, das nach ihr benannt worden war, und für jedes andere, das in Mayab noch geboren werden würde, lohnte es sich, diese Welt zu verändern, zu einer lebenswerten zu machen - - zu einer Welt, die nicht länger Kerker sein sollte.
Draußen vor der Hütte verhielt Lilith kurz. Ihr Blick ging erst in jene Richtung, wo die Mauern des Palastes und der Tempel aufragten. Alles schien ruhig dort, nichts rührte sich. Trotzdem vermeinte Lilith einen flüchtigen Hauch jener Kälte zu spüren, die den Sitz der Herrscher Mayabs zu jeder Zeit zu umwehen schien, als wäre aus dieser Kälte ein unsichtbares, aber gewaltiges Tuch gewoben, das über den monumentalen Bauten lag. Und Lilith wußte, daß es nur an ihr war, dieses Tuch zu lüften und auf ewig verschwinden zu lassen.
Dann wandte sie sich ab und ging -- ans Ende dieser Welt.
Um endlich zu erkunden, ob die Grenzen Mayabs auch für sie selbst galten.
*
Noch jemand beobachtete zur selben Zeit jene Bauten, in denen seit Jahrhunderten die Tyrannen Mayabs residierten. Ungezählte Generationen von Menschen waren von ihnen nicht einfach nur geknechtet, sondern fast schon wie Vieh gehalten worden. Und nahm man es genau, hatten die Bewohner der Hermetischen Stadt den Vampiren nie etwas anderes bedeutet als Tiere - als Nahrung, darüber hinaus allenfalls noch zum Amüsement dienlich, indem man die Menschen für grausame Rituale hernahm oder sie brutale Spiele gegeneinander austragen ließ, bei denen der Sieger einzig mit seinem eigenen Leben belohnt wurde.
Der alte Copan seufzte schwer. Nur zu gern hätte er geglaubt, daß wahrhaftig neue Zeiten anbrachen für das Mayabsche Volk, aber er konnte es nicht. Zuviel Furchtbares hatte er in seinem langen Leben schon mitansehen und selbst erdulden müssen, als daß er jetzt, nach diesen wenigen Tagen relativer Ruhe, auch nur ansatzweise davon überzeugt gewesen wäre, es könnte auf Dauer so bleiben.
Das Bild vor Copans Augen begann zu verschwimmen, wie eine Spiegelung auf Wasser, in das jemand einen Stein warf. Tränen verschleierten ihm den Blick, und er versuchte sich einzureden, sie kämen nur davon, daß er nun schon seit Minuten angestrengt zum Tempelbezirk hinüberstarrte. Aber er wußte, daß dies nicht stimmte. Der wahre Grund war vielmehr, das zarte Pflänzchen Hoffnung in sich sterben zu spüren, weil Copan ihm nicht erlaubte, vollends zu erblühen. Denn die Blüte, das wußte der alte Maya, würde unweigerlich unter Enttäuschung verwelken.
Er wischte die
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