Liliths Kinder
Schleier aus Magie zu durchdringen. Und selbst der Mond .
Hör auf! Gedulde dich! Es wird geschehen! Du wirst deine Sucht befriedigen! Du wirst!
An jedem anderen Ort hätte sie ihrer Hoffnung geglaubt. Aber Mayab war und blieb ihr fremder als jede je besuchte Fremde.
Zwei Dinge sollen Kinder
von ihren Eltern bekommen:
Wurzeln und Flügel.
Johann Wolfgang von Goethe
Die Stille im einzigen Raum der Adobehütte war so tief, daß das feuchte Geräusch, mit dem Lilith Edens Lippen sich vom Hals des Mannes lösten, geradezu widernatürlich laut klang. Das Schaudern, welches ihr willfähriges Opfer durchlief, glaubte sie für den Moment selbst zu spüren, und das leise Stöhnen Selvas, die das Blutmahl mitangesehen hatte, ließ Lilith den warmen Geschmack des Elixiers vergessen und führte ihr unbarmherzig vor Augen, was sie da eben getan und wie sie sich verhalten hatte - um kaum einen Deut anders als die Tyrannen der Hermetischen Stadt, die das Volk Mayabs bislang gnadenlos geknechtet und sich an seinem Blut berauscht hatten.
Vampire waren sie. Und Liliths Kinder.
Eine Redensart kam ihr in den Sinn: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm .
Nun, in diesem besonderen Fall schien es Lilith eher so, als wären die Äpfel von einem gänzlich anderen Baum gefallen. Denn abgese-hen davon, daß sie sich vom Blut der Menschen nährte, hatte Lilith kaum weitere Gemeinsamkeiten zwischen sich und den Vampiren Mayabs gefunden. Das erschwerte ihr daran zu glauben, daß die Herrscher dieser Stadt wahrhaftig ihre leiblichen Kinder waren.
Landrus Worten zufolge jedoch verhielt es sich genau so - er war der Vater dieser Brut und sie deren Mutter. Und außer der Unsicherheit, die tief in Liliths Innerstem nagte, gab nichts Anlaß, an Landrus Worten zu zweifeln.
Ohnedies blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als auf Landru zu vertrauen. Denn im Gegensatz zu Lilith hatte er seine Erinnerung wiedergewonnen. Bei ihrem Erwachen aus todesähnlichem Schlaf vor Wochen in einem italienischen Bergkloster war alles Wissen um die Vergangenheit von Lilith und Landru abgefallen. 1 Unabhängig voneinander hatten sie danach Spuren verfolgt, die ihnen den Weg in ihr einstiges Leben weisen sollten.
Lilith hatte dabei kaum etwas anderes gefunden als neue Fragen und Rätsel, die sie nicht zu lösen vermochte und die sie nur in noch tiefere Verwirrung gestürzt hatten.
Landrus Suche nach sich selbst war jedoch von Erfolg gekrönt gewesen. Und er hatte nicht nur herausgefunden, wer und was er wirklich war, sondern auch Liliths wahres Wesen in Erfahrung gebracht. Demzufolge waren sie beide Vampire. Und um Liliths eigener Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, hatte Landru sie schließlich nach Hause geführt.
In den Dschungel Yucatans.
Nach Mayab. In jene Stadt, die wie keine andere dieser Welt war.
Vergessen. Verloren. Versiegelt.
Wer die Hermetische Stadt nicht finden sollte, der fand sie auch nicht. Und niemand, der darin gefangen war, würde sie je verlassen. Dunkle Kelchmagie wob Mayab ein wie in einen Kokon, der die Stadt vor der Welt draußen verbarg und den nichts zu durchdringen vermochte.
Einzig Landru besaß die Macht, den Schlüssel, etwas wie ein Tor darin zu öffnen. Und nur ihm war die Passage möglich; ihm und jenen, die er mit sich nahm - oder denen er gleichfalls jenen ominösen Schlüssel gab.
Lilith wußte nicht, wie sich dies im einzelnen verhielt. Und der einzige, der ihr diese und ungezählte andere Fragen hätte beantworten können, war verschwunden.
Landru hatte Mayab mit unbekanntem Ziel verlassen. Vor Tagen schon. Ohne ein Wort der Erklärung hatte er Lilith allein zurückgelassen.
Das hieß - fast allein.
Liliths Gedanken schweiften noch weiter ab, hin zu jener geheimnisvollen Fremden, von der sie noch immer kaum mehr als den Namen kannte.
Nona .
Für Lilith war Nona nur ein weiteres Mysterium. In welchem Verhältnis sie zu Landru und zu ihr selbst stand, wie sie nach Mayab gelangt war und weshalb er sie an Liliths Seite gestellt hatte - hinter all dem stand ein Fragezeichen, und es war niemand da, der es beantwortet hätte. Nona selbst hatte den Kontakt zu Lilith stets gemieden, und wenn sie einmal Gelegenheit gefunden hatte, Nona zu befragen, hatte diese stets ausweichende oder mehrdeutige Antworten parat gehabt und Lilith letzten Endes auf später vertröstet.
Allerdings gestand Lilith sich ein, daß sie selbst nicht allzu konsequent die Begegnung mit Nona gesucht hatte. Andere Dinge hatten ihre Zeit zur
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