Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
verlassen. Steinbeck aber bestand darauf, sich den toten Batman ansehen zu wollen.
»Wozu?«
»Sie fragen, wozu . Meine Güte!« erregte sich Steinbeck. »Ich will doch wissen, was der Kerl für ein Gesicht hat!«
Stirling lehnte ab. Er erklärte, daß Kommissar Pagonidis dies ausdrücklich untersagt habe.
»Wieso das denn? Was glaubt er, was ich entdecken könnte?«
»Ich habe meinen Befehl«, sagte Stirling. »Bitte!«
»Und wenn ich einfach hineingehe und mir den Mann anschaue?«
»Man wird Sie daran hindern.«
» Sie werden mich daran hindern, oder?«
»Ich werde mich hüten, gnädige Frau«, erklärte Stirling im wienerischen Stil, »Sie auch nur anzufassen.«
Steinbeck sah jetzt, daß die Türe zu ihrem ehemaligen Hotelzimmer von zwei vermummten, ihre Maschinenpistolen stoppschildartig vor die Brust haltenden Polizisten abgeriegelt wurde.
War das wirklich Ausdruck einer im Zuge Olympias erfolgten Standardisierung nach europäischem Muster? Sollte die sympathische griechische Art, den Dingen ihren Lauf zu lassen, jenem Elan gewichen sein, der sich vom Ende her betrachtet meistens als weniger effektiv denn dekorativ erwies? Eher als ein Bild von Sicherheit, als Sicherheit selbst.
»So leicht werden Sie mich nicht los«, warnte Lilli Steinbeck.
»Bevor Pagonidis etwas riskiert, wird er es vorziehen, Sie zu Ihrem Glück zu zwingen. Besser, als in den nächsten Tagen Ihren Leichnam überführen zu müssen.«
»Mein Gott, ich bin Polizistin. Polizistinnen sterben mitunter.«
»Es ist dem Kommissar aber lieber, wenn Sie zu Hause sterben.«
»Gut. Das sehe ich ein. Aber eines möchte ich noch erledigen. Das müssen Sie mir zugestehen. Ich will mit Professor Diplodokus sprechen. Er ist der Mann, der Georg Stransky nach Athen eingeladen hat.«
»Macht ihn das verdächtig?«
»In keiner Weise. Aber er kann mir vielleicht erklären, welche Bedeutung Athen für Stransky hatte. Neben der universitären. – Ich habe mich für morgen mittag mit dem Professor verabredet und möchte diesen Termin auch wahrnehmen. Reden Sie mit Pagonidis. Sagen Sie ihm, ich bestehe darauf, Diplodokus zu sprechen. Danach fliege ich zurück nach Deutschland, wenn es denn unbedingt sein muß.«
»Ich weiß nicht …«
»Fragen Sie ihn.«
Stavros Stirling hob die Augenbrauen an, was ihm übrigens gar nicht stand. Er ließ es auch gleich wieder bleiben, griff in seine Jackentasche und holte ein Handy heraus, das wie ein versilbertes Miniwörterbuch in seiner Hand lag: Stirling-Pagonidis, Pagonidis-Stirling.
Er führte das Gespräch mit einer Stimme, die noch weicher klang, als wenn er Deutsch sprach. Eine Stimme, als rede jemand durch ein Geschirrtuch. Nachdem er geendet hatte, wandte er sich an Steinbeck und meldete ihr, es gehe in Ordnung. Pagonidis habe dem Treffen mit Diplodokus zugestimmt. Danach aber müsse Steinbeck Athen verlassen. Man wolle die Leute, die es auf sie abgesehen hätten, nicht zu weiteren Aktionen ermuntern. Es existierten bessere Wege, um herauszufinden, worum es dieser Bande gehe.
Offenkundig hielt man es für erwiesen, daß der Batmanmann im Auftrag gehandelt hatte. Daß also seine pathologische Vorgehensweise bloß einem persönlichen Stil entsprochen habe. Ein Killer auf Abwegen.
»Ich gehe davon aus«, mutmaßte Steinbeck, »daß ich den Rest der Nacht woanders verbringen werde.«
»Ja. Der Kommissar will, daß ich Sie mit zu mir nehme. Er hält das für das sicherste. Natürlich wird uns ein Wagen begleiten. Eine Einheit von Scharfschützen. Allerdings denke ich, daß ein Anschlag pro Nacht genügen sollte.«
»Unbedingt«, sagte Steinbeck und erklärte sich einverstanden. Wobei sie auf die Koketterie verzichtete, danach zu fragen, was denn wohl Stavros’ Freundin davon halte. Lilli war sich ziemlich sicher, daß dieser schöne junge Mann die Freiheiten eines Junggesellendaseins dem Leben in enger Bindung vorzog.
Genau das aber sollte sich als Irrtum herausstellen.
Nach langer, wortloser Fahrt erreichte man irgendeinen Stadtrand. Ein »Ende der Welt« mit hohen Wohnhäusern, die man anderswo verächtlich Silos nennt. In der Luft lag eine Stille, die summte. Die Dämmerung machte sich bemerkbar, zog den Sternen das Licht aus der Tasche. Der Wagen mit den Scharfschützen parkte neben Stirlings maßgeschneiderter Sportwagenhaut.
Mit dem Aufzug fuhren Stirling und Steinbeck ins sechste von acht Stockwerken. Noch vor dem Öffnen der Wohnungstüre erkannte Steinbeck ihre falsche Einschätzung.
Weitere Kostenlose Bücher