Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Liebe zur Farbe und zum Detail die Bedeutung der Komposition habe vergessen lassen. Mit dem Auftritt des Menschen wäre sodann das Bild der Natur zusammengebrochen. Allerdings auf äußerst schwungvolle Art, wie Stransky zugibt.«
»Darf ein Wissenschaftler so sprechen?«
»Georg Stransky nimmt sich die Freiheit. Im übrigen jedoch ist er ein strenger Empiriker. Ich will sagen: Er erfindet keine Eier, die es nicht gibt.«
»Und über diesen Vogel hat er hier in Athen referiert?«
»Nicht nur. Aber der Alca impennis ist sein Kernthema. Zudem ist Herr Stransky eine kleine Berühmtheit in Fachkreisen. Er hat ein gutes Händchen dafür, ausgestorben geglaubte Tiere aufzutreiben. Freilich keine Dinosaurier, wie Sie sich denken können.«
» Diplodokus !? Ist das nicht der Name eines Dinosauriers?«
»Das ist richtig. Ein großer, friedlicher Pflanzenfresser. Aber Herr Stransky hat nicht mich aufgetrieben, sondern ich ihn. Er kam schließlich auf meine Einladung.«
»Was sind das für Tiere, die Stransky zu entdecken pflegt?«
»Vor allem Vögel natürlich. Und Tiere, die ihm bei der Vogelbetrachtung praktisch vor die Linse fallen. Vogelfutter sozusagen. Nichts, was einen Laien umwirft.«
»Kein Grund also, jemand zu entführen.«
»Was soll ich sagen? Vielleicht ist ihm diesmal ein Vogelfutter von größerer Bedeutung in den Schoß gefallen. Oder ein Vogelfresser.«
»Und was könnte das sein?«
»Da fragen Sie mich zuviel.«
»Es ist jetzt zehn Jahre her«, sprach Lilli Steinbeck, »daß Georg Stransky in Athen seine Vorträge hielt. Stimmt das?«
»Ja, das kommt hin.«
»Und seither?«
»Wir halten sporadischen Kontakt«, erklärte Diplodokus. »Austausch kleiner Informationen … Bitte, ich beziehe mich noch immer auf die Vogelwelt. Nur damit Sie nicht auf falsche Gedanken kommen.«
»Ich will offen sein, Herr Professor«, eröffnete Steinbeck eine neue Runde, griff nach etwas Kleinem, Graubraunem und Glitschigem, das wohl aus dem Meer stammte, führte es sich selbstbewußt in den Mund und erzählte von den sieben bisherigen Opfern, die höchstwahrscheinlich eine Serie bildeten. Eine Serie, der Stransky anzugehören scheine und die sich aus einer gewissen Athenlastigkeit ableiten lasse.
»Was? Bloß, weil all diese Leute einmal hier waren?«
»Nicht, um Urlaub zu machen. Und nicht auf ein paar Tage nur.«
»Waren das lauter Zoologen oder wenigstens lauter Wissenschaftler?«
»Nein.«
»Na, was wollen Sie dann davon ableiten?«
»Ich hoffte«, sagte Steinbeck, »Sie würden mir dabei helfen. Beim Ableiten. Mir einen Hinweis geben.«
»Das ist eine vermessene Hoffnung«, stellte Diplodokus fest. Er wirkte belustigt. Wandte sich dann in Richtung des schweigenden Stirling und meinte, wie schon bisher Französisch sprechend: »Sie haben Frau Steinbeck hoffentlich gesagt, wie unwahrscheinlich ein Bezug zu Athen sein dürfte.«
Stirling machte ein Gesicht, als verstehe er kein Französisch.
»Denken Sie nach«, blieb Steinbeck ungerührt. »Fällt Ihnen etwas ein, wenn Sie sich an Stransky erinnern? Etwas, das nicht paßt.«
»Wozu nicht paßt?«
»Zum Leben eines Mannes, der sich für Riesenalke begeistert.«
»Sie meinen eine Frauengeschichte. Drogen. Abstruse Hobbys.«
»Es darf auch ruhig weniger dramatisch sein. Oder weniger auffällig.«
Professor Diplodokus schien wirklich nachzudenken. Er zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief, blies aus und sah dem Rauch hinterher wie sinnlosen, dummen Jahren. Dann griff er sich mit der freien Hand in den Nacken, sodaß sein Hut leicht verrutschte und äußerte: »Na ja.«
»Ein guter Anfang«, kommentierte Steinbeck. Sie meinte es nicht einmal spöttisch.
»Da war diese Sache mit der Fledermaus«, sagte der Professor.
»Herrje!« entfuhr es Steinbeck. Sie krallte sich an der Tischkante fest. Der Geschmack der kleinen, glitschigen Speise, die sie längst geschluckt hatte, breitete sich erneut aus, deutlich heftiger als noch zuvor. Steinbeck dachte an den Fisch, der aus dem Hosenschlitz eines als Batman verkleideten Wahnsinnigen gestanden hatte.
Nicht zum ersten Mal hielt Stavros Stirling seine Hand nahe an Steinbecks Oberarm, ohne ihn wirklich zu berühren. Spielte der Junge hier den Wunderheiler? Jedenfalls fing sich Steinbeck rasch, lächelte wie nach einer Darmspiegelung und forderte den Professor auf fortzufahren.
»Stransky«, sagte Diplodokus, »erzählte mir einmal von einem merkwürdigen Mann, der ihn angesprochen habe. Oben auf
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