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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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bestimmen gedenke.
    Nach Südwesten hin verließ man die Stadt und gelangte in ein von Bergen umlagertes Becken. Stransky war sich nun ziemlich sicher, daß die Stadt, die soeben im Rückspiegel verschwand, Sanaa sein mußte, die für ihre Architektur berühmte, hoch gelegene Hauptstadt des Jemen.
    Nun, Stransky war weder Architekturliebhaber noch Orientalist, nicht einmal Bergsteiger. Darum fragte er, sich nach vorn zu seinem finnischen Begleiter beugend: »Wieso Sanaa? Was habe ich hier verloren?«
    »Der Ort hat keine Bedeutung.«
    »Wie meinen Sie das, keine Bedeutung?«
    »Das Los hat entschieden.«
    »Das Los also«, wiederholte Stransky. »Ist ja toll. Verstehe ich das richtig? Das hier soll ein Spiel sein und ich der Gewinner.«
    »Sie sind der Verlierer«, korrigierte Vartalo.
    »Ach was!«
    »Beziehungsweise eine bloße Spielfigur. Wie sagt man? Ein Stein.«
    »Ich bin also ein Stein?« Stranskys Stimme war ein kleiner Überschlag. Er war erbost. Man darf nicht vergessen, er unterrichtete an der Universität, publizierte ganze Bücher, war Mitglied diverser Gremien und nicht zuletzt im Kirchengemeinderat. Er war es gewohnt, geachtet und respektiert zu werden.
    Aber die Dinge hatten sich gewandelt. Er war keine prominente Versuchsperson, wie er anfänglich gedacht hatte, niemand, der sich großzügigerweise zur Verfügung gestellt hatte, sondern eben genau das, als was der Mann, der nicht Holländer, sondern Finne war, ihn bezeichnete: ein Stein.
    Und als solcher fragte er nun, wer hier eigentlich gegen wen spielen würde.
    »Leute, die sich solche Spiele leisten können«, antwortete Vartalo.
    »Leute, denen langweilig ist«, vermutete Stransky.
    »Ich weiß nicht genau, ob es wirklich mit Langeweile zu tun hat. Es dürfte sich um etwas Ernsteres handeln. Es geht jedenfalls um mehr, als bloß ein Leben zu vernichten.«
    »Und zwar?«
    »So genau kann ich das nicht sagen. Ich weiß ja nicht einmal, für wen ich letztlich arbeite. Beziehungsweise gearbeitet habe. Allerdings ist das in meinem Gewerbe auch kaum von Bedeutung. Für mich sehen alle Schweine gleich aus. Alle haben einen Rüssel, alle grunzen.«
    »Aber Sie werden doch einen Chef haben, oder?«
    »Würde Ihnen das weiterhelfen, wenn ich Ihnen erzählte, mein Vorgesetzter sei ein ehemaliges Mitglied der französischen Geheimpolizei?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Eben. Es ist schon lange nicht mehr aussagekräftig, wer einmal was war, wer einmal wo gedient hat, für wen, gegen wen. Die Welt war schon immer ein Spiel, aber es wird nun immer deutlicher, daß sie das ist. Und wie wenig all die Vorwände gelten, die da Nation und Ideologie und Religion heißen. Daran glauben nur noch die Schafe. Wenn irgendwo eine Bombe hochgeht, dann steht dahinter ein Schachzug. Nicht im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinn. Steine werden gezogen, Steine werden gesprengt.«
    »Dann sind Sie aber auch nur ein Stein«, folgerte Stransky.
    »Ja, aber einer, der sich selbständig gemacht hat. Ich bin ein Überraschungsstein. Ich bin nicht auf das Feld gesprungen, auf das ich hätte springen müssen.«
    »Mein Feld.«
    »Ja.«
    »Und jetzt?«
    »Wie gesagt. Wenn es mir gelingt, Sie lebend nach Hause zu bringen, zurück zu Frau und Tochter, zurück in einen blinden Alltag, dann sind wir beide aus dem Schneider. Man wird uns in Frieden lassen. So heißt die Regel.«
    »Aha! Die Regel«, wiederholte Stransky. Er wiederholte in letzter Zeit ein bißchen viel. Aber was blieb ihm anderes übrig, als die Dinge nachzuplappern, anstatt sie zu begreifen. Das war ein neuer Zustand. Ungewöhnlich für den Wissenschaftler, der er bisher gewesen war. Vom Wissenschaftler zum Stein.
    Der solcherart steingewordene Georg Stransky ließ sich in seinen Sitz zurückfallen, wobei er die Waffe zur Seite schieben mußte, wollte er einigermaßen bequem sitzen. Waffen in Hosen waren wirklich das Letzte. Stransky schüttelte den Kopf und lächelte dunkel in sich hinein. Er hielt das alles für einen Witz. Aber einen Witz, der bedauerlicherweise echt war.
    Immerhin war die Landschaft großartig. Stransky sah aus dem Fenster, blickte hinüber auf die Gipfel und Zacken vor dem Hintergrund eines wie frisch aus der Tube gedrückten satten Blaus. Ein Hochgebirgsblau vom Feinsten. Schade nur, daß man hier nicht auf Urlaub war. Denn Stransky hatte es endlich begriffen: Sein Leben war in Gefahr. Wie auch die Idylle dessen, was der finnische Söldner nicht ganz unrichtig als »blinden Alltag« bezeichnet

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