Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Nacht«, sagte der Mann.
»Ich bin aber noch nicht müde«, entgegnete Stransky.
»Aber ich. Und wie ich müde bin. Denken Sie, es macht Spaß, Leute abzuknallen? Als es wenigstens noch Kriege gab …«
»Es gibt noch Kriege«, versicherte Stransky.
»Nicht für unsereins«, entgegnete der Blonde.
»Tut mir leid für Sie.«
»Wollen Sie mich verarschen?«
»Wieso?« wunderte sich Stransky. »Mir wäre lieber, Sie stünden jetzt in einem Krieg, als daß Sie mir Ihre Waffe ins Gesicht halten. Und ich nicht einmal eine Ahnung habe, warum Sie das tun.«
»Ich sagte doch schon, daß es nichts Persönliches ist.«
»Was nützt mir das, zu wissen, was es nicht ist.«
»Das ist doppelt soviel, als die meisten Leute erfahren, bevor sie sterben.«
»Soll ich mich dafür bedanken«, fragte Stransky, »daß kein Groll dahintersteckt, wenn Sie mich jetzt erschießen. Was sind Sie? Ein Killer mit einer Depression?«
»Die anderen haben immer um ihr Leben gebettelt.«
»Welche anderen?«
»Die anderen halt.«
»Und das macht es leichter für Sie, wenn jemand um Gnade winselt?« wunderte sich Stransky, der nach einer versteckten Kamera lugte, die das Ganze aufnahm.
»Ja. Das Gewinsel nervt. Und gibt einem eben darum das Gefühl, das Richtige zu tun. Zumindest nichts wirklich Falsches. Man beendet ein Gewinsel.«
»Tut mir leid«, sagte Stransky, »aber ich werde nicht winseln. Jetzt schon gar nicht, wie Sie sich denken können.«
»Ich habe befürchtet, daß mir das eines Tages passiert«, sagte der Mann. Der Anflug eines Schluchzens steckte in seiner Stimme: »Einmal kommt es, daß man nicht abdrückt. So wie es einmal kommt, daß einem der Arzt sagt, diesmal sei es leider nicht gutartig.«
»Sie werden ja nicht sterben, wenn Sie nicht abdrücken.«
»Oh doch, das werde ich.«
»Na, dann sollten Sie es sich aber gut überlegen«, empfahl Stransky. Er war jetzt wie einer dieser Leute, die seelenruhig eine Giftschlange in die Hand nehmen, weil sie meinen, deren Zähne seien längst gezogen worden. Obgleich das gar nicht stimmt. Die Giftschlange ist giftig. Doch das lässig gepackte Tier läßt sich von der Lässigkeit beeindrucken. Es beißt nicht.
»Wie heißen Sie?« fragte Stransky. Für einen Zoologen war es schließlich nicht einerlei, ob er es mit einer Natter oder Viper zu tun hatte.
Aber der Mann mit der Pistole verweigerte sich. Wahrscheinlich nicht aus praktischen Gründen, sondern bloß, um sich wenigstens in diesem Punkt gegen sein Opfer zu behaupten. Ein Opfer, das jetzt keines mehr war, denn der Blonde senkte die Waffe.
»Und nun?« fragte Stransky, lange nicht so erleichtert, wie er hätte sein müssen.
»Ich habe nicht geschossen«, stellte der Mann fest und folgerte: »Also habe ich die Seite gewechselt. Das heißt, daß ich Sie beschützen muß. Wofür man mich nicht einmal bezahlen wird. Dummheiten werden nicht entlohnt.«
»Na, vielleicht kann ich mich demnächst revanchieren. Ich finde es nämlich sehr viel erfreulicher, beschützt als bedroht zu werden.«
»Haben Sie eine Pistole?« fragte der Mann mit den hellen Brauen, die nun weiß waren wie Gänsefedern.
»Im Rucksack«, erklärte Stransky.
»Nehmen Sie die Waffe an sich, damit Sie sie jederzeit ziehen können. Und wenn ich Sie darum bitte, erschießen Sie mich.«
»Warum sollte ich Ihnen einen solchen Wunsch erfüllen?« fragte Stransky.
» Sie , Stransky, wird niemand quälen. Wenn Sie sterben, wird es schnell gehen.«
»Schneller als unser Gespräch hier?«
»So etwas wiederholt sich kein zweites Mal«, prophezeite der Blonde. »In meinem Gewerbe schwächelt immer nur einer. Nie zwei. Und das ist der Grund, daß man mich wird leiden lassen, wenn man mich erwischt. Und wie leiden! Darauf kann ich gerne verzichten. Falls ich also nicht mehr in der Lage bin, mir selbst ein rasches Ende zu bereiten, wäre es nett von Ihnen, wenn Sie das erledigen könnten, wenn Sie dann noch können. Denken Sie dabei, was Sie mir ersparen. Und was Sie mir schuldig sind. Mein Leben für Ihr Leben.«
»Ich habe noch nie jemand getötet.«
»Ich habe noch nie jemand am Leben gelassen.«
»Bis gerade eben.«
»Richtig. Sie sehen also, man kann sich ändern.«
»Also gut, wenn nötig, tue ich es«, sagte Stransky, wie man sagt: Wenn nötig, lasse ich anschreiben.
»Die Pistole«, erinnerte der Blonde.
Stransky nahm sie aus dem Rucksack, ließ sie sich erklären. Die Waffe funktionierte in etwa wie einer dieser Fotoapparate, mit denen jeder
Weitere Kostenlose Bücher