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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Junge «, spöttelte Vartalo, »hätte uns demnächst verraten.«
    »Er hat doch sicher genug kassiert«, entgegnete Stransky.
    »Kein Grund, uns davonkommen zu lassen.«
    »Sie hätten ihn trotzdem nicht zu erschießen brauchen.«
    »Ich liebe die Kommentare von Laien«, äußerte Vartalo. »Was sind Sie von Beruf, Herr Stransky?«
    »Zoologe.«
    »Würde es Ihnen Spaß machen, mit mir über zoologische Themen zu diskutieren? Mit einem Mann, der sich nur für Tiere interessiert, die man auch essen kann.«
    Stransky murmelte etwas Unverständliches, das er selbst nicht verstand, und schritt hinüber zu dem reglosen Körper. Er ging in die Knie und betrachtete das breite Loch, das die Stirn des Getroffenen dominierte. Ihm wurde übel. Es war sein erster Toter. Alle anderen waren bloß theoretischer oder fiktiver Natur gewesen. Die schlimmste Fernsehleiche noch war nichts gegen die Wirklichkeit. Hier lag ein Mensch, vielleicht zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig, und hatte zu atmen aufgehört. Der ganze Rest von Leben war jetzt Makulatur, die ganzen Mühen, diesen Menschen auf die Welt zu bringen, ihn großzuziehen, ihn zumindest einige Jahre lang gefüttert und beschützt zu haben, erschienen nunmehr als ein zweckloses Unterfangen. Natürlich, jeder Mensch starb einmal, aber wenn dies im hohen Alter geschah, so schloß sich ein Kreis, der logisch und korrekt anmutete, ein Kreis eben. Ein halber oder viertel Kreis hingegen wirkte blödsinnig: ein Kreis, der keiner ist.
    Und vor einem solchen blödsinnigen Kreis kniend, einem Kreisausschnitt von Leben, empfand Stransky eine übergroße Verzweiflung. Er meinte sich schuldig am Tod des jungen Mannes. Ein Gefühl, das in keiner Weise dadurch gemindert wurde, gar nicht so richtig sagen zu können, worin diese Schuld eigentlich bestand. Gerade das Unwissen verstärkte den Eindruck von etwas Fundamentalem. Einer Verantwortung, die tief in Stranskys eigenem Wesen begründet lag.
    Ganz im Gegensatz zu Joonas Vartalo, der ja bloß seinen Job tat. Auch wenn es nicht mehr der Job war, für den man ihn ursprünglich bezahlt hatte.
    »Hören Sie auf mit der Heulerei«, mahnte Vartalo.
    »Ich heule nicht«, erklärte Stransky, obwohl Tränen in seinen Augen standen.
    »Wie Sie meinen«, sagte der Finne. Und sagte, daß es an der Zeit wäre, die Reise fortzusetzen. Gleichzeitig packte er den Toten unter den Armen und schleifte ihn von der Mitte des Platzes an den Rand, hinein in einen Schatten, der wie die meisten Schatten in diesem Land die Dinge wahrhaftig zu verschlucken schien. Diese Schatten waren wie Teer. Vorhänge aus Bitumen.
    Aus dem Schatten wieder heraustretend, wies Vartalo Stransky an, in den Wagen zu steigen. Er selbst nahm hinter dem Steuer Platz, wo er das Radio aus seiner Verankerung riß und aus dem Fenster warf.
    »Ich finde, Sie übertreiben«, meinte Stransky, auf Vartalos Ablehnung orientalischer Klänge anspielend.
    »Ich finde, Sie haben keine Ahnung«, entgegnete Vartalo, eingedenk dessen, daß das Radio von jenen Leuten montiert worden war, in deren Diensten er bis vor kurzem gestanden hatte.
    Als sie aus der verlassenen Stadt, die jetzt immerhin einen Toten beherbergte, herausfuhren, bemerkte Stransky den Fisch. Den kleinen silbernen Fisch, der an einer kurzen, dünnen Kette hing, die Vartalo durch das Loch an seiner Brusttasche gezogen und fixiert hatte.
    »Ein Quastenflosser«, bemerkte Stransky.
    »Was ist los?«
    Stransky zeigte auf das Amulett und erklärte, daß es sich dabei um die verzierte Nachbildung eines Latimera chalumnae handle.
    »Aha!« meinte der Finne im Ton der Ahnungslosigkeit. »Na, Sie sind der Zoologe hier, Sie müssen wissen, was für ein Fisch das ist.«
    Stransky war überzeugt, daß Vartalo selbst ganz gut wußte, welches Tier da von seiner Lederjacke baumelte. Hätte er es sonst dem toten Taxifahrer wieder abgenommen?
    Das erinnerte Stransky an seinen eigenen Anhänger. Obgleich er alles andere als ein Freund solchen Klimbims war, welches von Gürteln herunterhing oder Hosentaschen verbeulte. Und dennoch besaß er ein solches Objekt, ohne je Schlüssel daran gehängt zu haben. Aber immer wieder mußte er feststellen, es bei sich zu haben. Es war geradezu mysteriös, denn er konnte sich nie daran erinnern, es eingesteckt zu haben. Es war einfach da. Es gehörte dazu.
    War es nicht verrückt, zu glauben, eine kleine Plastikfigur, die einen Zeichentrickhelden darstellte, jenen als Fledermausmann verkleideten Multimillionär aus

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