Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
ehemaliges Trainingslager für eine geplante Eroberung des Mars oder – ganz wie damals in Amerika, als man die Mondlandung ganz oder halb nachstellte – um ein Filmstudio zur Herstellung »authentischer« Bilder vom roten Planeten. Eine simple Science-fiction-Produktion hingegen komme nicht in Frage, nicht unterirdisch, nicht auf einer Insel ohne Flughafen, ohne Pizzadienst, ohne alles.
»Sehen wir uns das genau an«, schlug Steinbeck vor, stieg über die verrostete Brüstung und kletterte in ihrer spinnenartig gewichtslosen Art den Kran abwärts. Stransky folgte mit einiger Vorsicht, eine Vorsicht, die Vartalo schätzte, da er fürchtete, den solange Beschützten schlußendlich durch einen simplen Sturz zu verlieren. Doch alle drei gelangten unbeschadet nach unten. Die Dronten zeigten ein wenig Nerven und schnatterten heftig mit ihren großen, gebogenen Schnäbeln, wenn man das bei Dronten sagen darf: schnattern. Machten aber keine Anstalten zu flüchten. Sie waren eben echte Dronten. Sie hätten sich auch jetzt noch in Null Komma nichts ausrotten lassen. Doch hier standen glücklicherweise keine Unmenschen, sondern vor allem in Gestalt Stranskys eine Person, die gedachte, sich und diese Dronten berühmt zu machen. Keine Frage, wenn die Öffentlichkeit von diesen Tieren erfuhr, würde sie gerührt sein wie selten zuvor. Und die Franzosen würden keine Sekunde zögern, eine Flotte von Kriegsschiffen um die Insel herum aufzustellen, um den Schutz der sensiblen Tiere zu gewährleisten. Daß bei alldem auch die Wissenschaft zum Zuge kam … keine Frage, da hätten die Dronten schon zum Mittelpunkt der Erde flüchten müssen, hätten sie sich der Wissenschaft entziehen wollen. Aber so weit war man nicht. Auch Stransky unterließ es, eins der Tiere anzufassen. Vielmehr betrachtete er sie mit feuchten Augen, überwältigt und stolz wie damals, als seine Tochter Mia auf die Welt gekommen war.
Man stieg nun zwischen den Dronten, die in Abständen von ein, zwei Metern nisteten, vorbei und erreichte das zentrale Objekt, eindeutig eine Landefähre für eine personenbezogene Unternehmung und nicht bloß eins von diesen kleinen Dingern aus Legoland. Es war ein mächtiges Vehikel mit einer ballonförmigen Kapsel obenauf, diversen goldverpackten Tanks, einer silberblauen Antennenschüssel sowie Solarmodulen, die aussahen, als könnte man sie jederzeit auf ein Gartenhäuschen montieren. Die weiße Verkleidung längs der Federbeine war von rotem Staub bedeckt. Etwas schimmerte durch. Vartalo schob sich seinen Ärmel bis über die Finger und wischte mit dem Unterarm über die verdreckte Fläche. Zum Vorschein kamen eine aufgedruckte Flagge, zwei unterschiedlich gestaltete Inschriften sowie eine Zahlenreihe.
»Franzosen also«, sagte Vartalo und meinte, daß, wenn er die französische Nationalflagge sehe, er sich immer an lateinamerikanische Bananenrepubliken erinnert fühle.
»Drei Farben, was wollen Sie?« entgegnete Steinbeck, konzentrierte sich nun aber auf die beiden Aufschriften, die eine etwas größer, darunter eine kleinere, ganz in der Art von Titel und Untertitel:
Mars, mon amour
Le mars est à nous
»Das aber ist nun wirklich typisch für die Franzosen«, fand Steinbeck.
»Inwiefern?« fragte Vartalo.
»Einem Raumschiff einen Namen zu geben, der sich an das Werk eines ihrer großen Regisseure anlehnt.«
»Na, der Untertitel klingt aber eher praktisch. Praktisch und militärisch. Sehr nach Grande Nation.«
Joonas Vartalo war zwar Finne, aber nicht allwissend. Sonst wäre ihm bewußt gewesen, wie sehr auch Le mars est à nous an einen Film erinnerte, nämlich an Renoirs La vie est à nous , bezeichnenderweise ein Stück Propaganda in gefährlichen Zeiten. Wie ja auch die ganze Raumfahrt ohne den Nutzen einer Propaganda, einer Erhöhung der raumfahrenden Nation, schwer vorstellbar wäre. Ohne Nation, ohne Allmachtsphantasien scheint die Sache belanglos, ohne das Hineindonnern einer Fahnenstange in fremde Erde. Und genau eine solche Fahnenstange samt Trikolore zog Stransky jetzt aus dem Sand, vorsichtig, um die umsitzenden und umstehenden Dronten nicht noch mehr aufzuregen. Dann drückte er die Spitze in den Sand und schüttelte den Kopf. »Sollen wir im Ernst glauben, die Franzosen wollten auf den Mars? Und hatten hier ihr kleines Übungsfeld?«
»Das muß dann aber gewesen sein, bevor sich die Dronten seßhaft machten«, meinte Steinbeck und fragte: »Weiß jemand, was die Zahlenreihe bedeutet?«
Da stand sie
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