Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
der Röhre zu erkennen gewesen wäre.
Vartalo war nun froh um die letzte Position, da er von dort wenigstens den Himmelsausschnitt im Auge behalten konnte. Er war zweimal in seinem Leben verschüttet gewesen. Und es gab eben Dinge, an die man sich nicht gewöhnte, da konnte man sich in King-Kong-Manier auf die Brust trommeln, bis einem die Rippen brachen.
Nach etwa zwanzig Metern vollzog der Schacht eine schwache Biegung. Der kleine blaue Punkt über Vartalo verschwand. Die Enge der Röhre hatte nun wenigstens den Vorteil, sich mit dem Rücken anlehnen und die Hände entlasten zu können. Die Luft freilich wurde nicht besser, der Geruch erinnerte verstärkt an verdorbene Lebensmittel, mit denen jemand kocht. Das ist nämlich ein Unterschied, etwas einfach nur verderben zu lassen oder damit ein Essen zuzubereiten.
Endlich war von unten her ein Schimmer von Licht zu sehen, der nicht aus der Taschenlampe stammte.
»Wir kommen«, sagte Stransky, als wolle er jemand retten. Aber er meinte wohl den Ruhm, der ihn erwartete. Es hätte also heißen müssen: »Ich komme.« Dann glitt er aus dem Schacht heraus und landete auf einer kleinen, eingerüsteten Plattform, welche den obersten Teil eines schwenkbaren Krans bildete. Dieser Kran und alles andere lagen in bündelartig eintretenden Streifen von Tageslicht, das von hoch oben herabfiel durch mehrere, unterschiedlich große, ausgefranste Durchlässe im Erdboden. Ein Boden, der von innen betrachtet eine Kuppel bildete. Denn man befand sich in einem gewaltigen Hohlraum, der eindeutig natürlichen Ursprungs war, die Halle einer Lavahöhle, die allerdings adaptiert worden war. Und zwar gleich zweimal, und zweimal zu sehr unterschiedlichen Zwecken.
Der aktuelle Zweck war so eindeutig wie unüberhörbar. Eine Kolonie von Vögeln hatte sich breitgemacht. Ein paar hundert mochten es sein, und Stransky konnte auch von seiner erhöhten Position aus sofort erkennen, wie sehr es sich gelohnt hatte, gleich einem Wurm durch die Erde gekrochen zu sein. Dies hier waren eindeutig keine Pinguine und keine Enten und keine Hühner, sondern Dronten, waschechte Dronten, keine weißen Dodos, wie Steinbecks Äußerungen hatten vermuten lassen, sondern jene bekannte Art Raphus cucullatus, nur daß deren Gefieder ein wenig heller schien als auf den historischen Abbildungen. Hier saßen sie, die ausgestorben Geglaubten, und nisteten und brüteten, wie gehabt eineiig, machten Dreck und Lärm und waren also erfolgreich beschäftigt, ihre Art zu erhalten. Dies taten sie allerdings auf einem … tja, man hätte sagen können, auf einem fremden Planeten. Und damit war nicht gemeint, daß man sich hier so ziemlich am Ende der Welt und fern jeglicher Zivilisation und Beobachtung befand, nein, der Anblick, der sich bot …
»Meine Güte«, sagte Steinbeck, neben Stransky hintretend, »hier sieht es ja aus wie auf dem Mars.«
»Ja, ein Mars mit Dronten.«
Genau so war es. Die Landschaft, auf der all diese Dronten ihre Bodennester aufgebaut hatten, entsprach ganz dem, was man von den Übertragungsbildern gelungener Marsmissionen kannte. Eine steinige, rote Wüste. Oxydiertes Land. Gegen zwei Seiten hin wurde mittels hoher, schmutzrosa eingefärbter Leinenbahnen ein Himmel suggeriert, wie ihn die dünne, staubverseuchte Atmosphäre des Mars hervorbringt. Am künstlichen Horizont waren einzelne Erhebungen zu erkennen. Vollkommen real hingegen war die Landefähre, die in der Mitte des ovalen Plateaus parkte, Teile davon umspannt mit den typischen goldenen Folien, die scheinbar niemals glatt, immer nur zerknittert sein dürfen. Neben dem Landemodul standen weitere Geräte, ein kleiner Rover, Solarsegel, ausgeklappte Antennen, Kameras, diverses Zeugs, eingesandet. Gegen den Rand hin erhoben sich große Ventilatoren, wie man sie aus Filmstudios kannte, wenn es galt, Sandstürme oder wehendes Frauenhaar zu produzieren. Insgesamt aber wirkte die Szenerie ausgesprochen echt. So gesehen waren es die vielen Dronten, die dieses Marsbild störten, den Eindruck von etwas Unechtem erzeugten. Und man kann sich ja auch streiten, was nun unglaubhafter wirkt, eine Marslandschaft im Inneren eines Vulkanberges oder eine Kolonie von Vögeln, die seit über dreihundert Jahren als ausgestorben gelten.
»Was soll das bedeuten?« fragte Steinbeck.
»Ich bin Zoologe«, erinnerte Stransky und meinte damit, sich allein für die Vögel zuständig zu fühlen.
Es war Vartalo, der nun laut überlegte, es handle sich entweder um ein
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