Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
ockerfarbenem, strohigem Gras, war ein Loch zu erkennen. Und aus dem Loch ragte Stranskys Kopf. Offensichtlich hatte er eine Höhle entdeckt, besser gesagt einen Erdgang, einen schmalen Stollen, schmal, wenn man ein Mensch war. Stransky aber sagte: »Weiter unten wird es breiter. Kommt endlich.«
Vartalo und Steinbeck kamen, während Stransky wieder vollständig in dem Loch verschwand.
»Das ist doch Blödsinn«, meinte Vartalo, »sich freiwillig in eine Falle zu hocken.«
Das war sicher richtig. Andererseits war Vartalo nicht hier, um die eigene Haut zu retten, sondern die des Herrn Stransky. Und selbiger hatte nun mal die Richtung vorgegeben. Also rutschten auch Steinbeck und Vartalo mit den Beinen voran in die schmale Öffnung, in welcher ein Mann wie Kallimachos bereits mit seinen beiden Oberschenkeln stecken geblieben wäre. Tatsächlich aber ergab sich nach nur wenigen Metern eine deutliche Ausdehnung des Gangs, der schließlich zu einer richtiggehenden Höhle anwuchs, in der es möglich war, aufrecht zu stehen. Daß man auch noch erkannte, wo man sich befand, war der Taschenlampe zu verdanken, mit welcher Stransky das Gewölbe erleuchtete. Lavagestein, das geradezu gläsern wirkte, mehr wie versteinerte Gelatine, verdreckte Gelatine freilich, staubige Gelatine. Die Decke, die sich knapp über den Köpfen der drei Personen spannte, bestand aus vielen kleinen, aber sehr spitz zulaufenden Kegeln. Es war ausgesprochen warm, und das Tosen des kräftigen Winds, der gerade über die Insel fegte, klang hier unten um einiges melodischer, weniger bombastisch, dafür geordnet.
Daß Stransky eine Taschenlampe mit sich führte, war in keiner Weise ein Zufall. Man befand sich schließlich auf einer Expedition und auf der Suche nach einem Vogel. Und man befand sich in einer Gegend, die über keine einzige Straßenlaterne verfügte. Außerdem war Stransky auch ausgebildeter Geologe. Und ein Geologe ohne Taschenlampe wäre schlimmer gewesen als ein Polospieler ohne Pferd. Darum die Taschenlampe, die über einen kräftigen Strahl verfügte und half, sich zu orientieren. So war es möglich, tiefer in das Innere vorzudringen, wobei der Weg jetzt eine nur noch geringe Schräge aufwies. Es wurde unangenehm heiß und stickig, obgleich der Raum sich noch immer vergrößerte. Von weit her war ein Plätschern zu vernehmen.
»Wir müssen zurück«, sagte Stransky plötzlich.
»Wieso das denn?« fragte Vartalo.
»Wir müssen etwas übersehen haben. So weit unten kann die Dronte nicht sein.«
»Hören Sie, mein Freund, wir suchen jetzt mal einen Ausgang. Danach reden wir über Ihren Vogel.«
» Sie hören jetzt zu«, sprach Stransky mit einem Nachdruck, der neu an ihm war. Vielleicht war dies das Timbre, mit dem er aufsässige Studenten zu maßregeln pflegte. »Die Suche nach dem Vogel, möglicherweise ein weißer Dodo, hat absolute Priorität. Diese Desprez-Leute können mich mal.«
»Wollen Sie sterben?«
»Das ist nicht der Punkt«, erklärte Stransky. »Was ist ein Mensch gegen eine Dronte?«
»Soll das eine ernste Frage sein?«
»Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung«, erläuterte Stransky und schaltete ohne jede Vorwarnung die Taschenlampe ab. Man stand augenblicklich in einer vollkommenen Schwärze.
»Drehen Sie sofort das Licht an«, befahl Vartalo.
»Nur, wenn wir zurückgehen.«
»Ach was, lecken Sie mich doch«, gab Vartalo zurück. Danach war es still.
Nun, es war nicht richtig still. Jenes Geräusch, das an ein Plätschern erinnert hatte, drang nun deutlicher an die Ohren der im absoluten Dunkel Stehenden. Aber es war nun kein Plätschern mehr, eher ein vielfaches Jammern, ein Jammern in der Art eines Gackerns, ein Gackern in der Art eines Gurrens, schwer zu sagen, was es war, jedenfalls die Summe zahlreicher verwandter Töne, derart gedämpft, als stammten sie aus einem tiefer gelegenen Bereich.
»Eine Kolonie, es hört sich nach einer Kolonie an.« Stransky sprach wie im Fieber. Er hatte die Taschenlampe wieder eingeschaltet, wobei er das eigene Gesicht von unten illuminierte. Einen Moment sah er genau so aus, wie man sich verrückte Wissenschaftler vorstellt: à la Dr. Mabuse.
»Ich darf mal«, sagte Steinbeck und nahm Stransky die Lampe sehr sachte aus der Hand. Nicht aber, um den breiten Hauptgang weiter abwärts zu steigen oder umzukehren. Statt dessen führte sie den Lichtkegel langsam durch den Raum. Der Glanz von staubiger Gelatine war etwas Metallischem gewichen. Zudem wirkte die
Weitere Kostenlose Bücher