Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Struktur noch gewollter, noch architektonischer als zu Anfang. Was nichts daran änderte, daß es sich um geronnenes und dann wieder erkaltetes Gestein handelte. Bühnenhaft, aber natürlich.
»Da!« rief Steinbeck und richtete den Lichtstrahl auf einen Flecken.
»Was denn?«
»Dort oben. Eine Luke oder so.«
Tatsächlich war in ein paar Metern Höhe eine Öffnung zu erkennen, die nun ganz eindeutig auf einen menschlichen Eingriff zurückging, zu perfekt war die quadratische Form.
»Na, das sehen wir uns mal an«, entschied Steinbeck. Sie begann sich für Stranskys Vogel zu interessieren, auch wenn das Tier mit Sicherheit nicht diesen Weg gewählt hatte. Viel zu schwierig für einen Vogel, der nicht fliegen konnte. Andererseits war beim Näherkommen eindeutig festzustellen, daß das dumpf dröhnende Massengegacker aus dem Schacht drang, der waagrecht in den Stein führte. Auch war ein Luftzug zu spüren. Luft als eine Mischung von Kälte und Wärme. Luft wie eine Mannerschnitte.
»Ich möchte als erster gehen«, bat Stransky. Nein, er flehte.
»Zu gefährlich, Herr Professor«, wehrte Steinbeck ab. »Ich habe Ihrer Frau versprochen, ein wenig auf Sie achtzugeben, falls ich Sie denn finde. Und ich habe Sie nun mal gefunden.«
»Sie waren bei Viola?«
»Sie liebt Sie«, sagte Steinbeck, ohne zu ahnen, was für einen Unsinn sie da redete.
»Trotzdem«, erwiderte Stransky. »Lassen Sie mich vor. Es ist mein Vogel.«
»Sie würden sich wohl umbringen für das Tier.«
»Natürlich«, antwortete Stransky.
»Wie Sie wollen«, sagte Steinbeck und zeigte dem Zoologen mit einer Geste an, er möge als erster in den Schacht schlüpfen, dessen Größe nun wieder mit der Enge des Höhleneingangs korrespondierte.
»Warum lassen Sie das zu?« fragte Vartalo.
»Wenn mein Auto streikt, lasse ich es stehen.«
»Wie bitte?«
»Wenn Männer bocken, lasse ich ihnen ihren Willen.«
»Ihr Deutsche seid alle krank im Kopf«, urteilte Vartalo.
Steinbeck ließ das Mißverständnis unwidersprochen und kletterte hinter Stransky her. Dann folgte auch Vartalo.
Wie erwartet, erwies sich der Durchbruch als ein von Menschenhand geschaffener. Die Verkleidung bestand aus Blech, sauber und glänzend, poliert. Wohl des Windes wegen, der hier ständig durchblies. Die Röhre war ausgesprochen eng, bestens geeignet, um darin Platzangst zu entwickeln. Doch Stransky ließ sich keine Sekunde abschrecken, so wenig er enge Räume liebte. Aber wer bitte liebte enge Räume, außer ein paar irren Fetischisten?
Stransky schlüpfte mit dem Kopf voran in die ummantelte Aushöhlung, zog sich hinein und robbte voran, wobei er die Taschenlampe, die ihm Lilli gereicht hatte, Stück für Stück vor sich auf das Blech legte und eine sich scheinbar ewig dahinziehende, gleichförmige Strecke erkannte. Einen unendlich gedehnten Sarg. Aber so etwas gibt es nun mal nicht. Gänge pflegten zu enden. Und sei es in irgendeiner Art von Maschine.
Stransky dachte daran, daß Anfang der 1930er Jahre auf Saint Paul eine Fischereistation und eine richtiggehende kleine Fabrik gewesen waren. An die hundert Menschen hatten hier gelebt und pro Saison eine gute Million Langustenschwänze in Konserven gepackt.
War es also denkbar, daß diese Menschen auch hier unten gearbeitet hatten und daß ein Teil der Fabrik aus irgendwelchen faktischen oder obskuren Gründen ins Unterirdische verlegt worden war?
Die Vorstellung von einer Maschine, in die man geriet, verwarf Stransky, klemmte sich nun die Taschenlampe zwischen die Zähne und sah zu, daß er vorwärts kam. Hinter ihm Steinbeck und Vartalo, die sehr viel besser im Robben waren, denen aber die Enge nicht minder unangenehm war. Dazu kam ein ekelhafter, scharfer Geruch.
»Verflucht! Verflucht, verflucht«, kam es von Vartalo her, nachdem er sich einige Meter durch die Röhre gezogen hatte und dabei nicht wissen konnte, wie sehr er mit der Beschränkung auf eine zweimalige Wiederholung die sprachlichen Regeln jenes Mannes erfüllte, der sich gerade irgendwo über ihnen befand, in besserer Luft und mit einer sehr viel hübscheren Aussicht.
Immerhin erreichte man nach einigen Minuten eine Abzweigung, die nach oben wie nach unten führte, etwas breiter ausfiel, kreisförmig war und über montierte Sprossen verfügte. Nach oben hin stach ein verführerischer Kreis von Himmelblau aus dem Dunkel. Stransky aber wies die Richtung an: »Nach unten!«
Denn von daher stammte die anschwellende Kakophonie, ohne daß jedoch ein Ende
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