Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
der Waffe Palankas, das Aufscheuchen Hunderter ein Meter großer Dronten bewirkt. Und auch wenn diese Vögel nicht fliegen konnten, sich aufrichten, aufgeregt durcheinanderlaufen, die Hälse recken, das konnten sie schon. So ergab sich, daß die am Boden liegenden Steinbeck und Stransky hinter einer Phalanx ängstlich schreiender, mit ihren kurzen Flügeln um sich schlagender, Staub aufwirbelnder Tiere verborgen blieben. Tiere, die nun im Hagel zahlloser Kugeln hingemetzelt wurden. Aus dem Lärm heraus war bruchstückhaft die Stimme Stranskys zu vernehmen, welcher flehte, sofort aufzuhören. Er lag jetzt im Blut der Tiere, das sich mit dem Rot künstlichen Marssandes vermischte.
Steinbeck, die genauso ziellos wie alle anderen ihr Magazin entleerte, packte Stransky an der Schulter und schleifte ihn mit sich, um hinter einem Solarmodul in Deckung zu gehen.
»Reißen Sie sich zusammen«, brüllte sie.
Stransky, der Tränen in den Augen hatte, riß sich zusammen. Und wie. Er holte die eigene Verlaine aus dem Rucksack, stand auf, bevor noch Steinbeck dies verhindern konnte, hob die Waffe über die Barrikade und schoß. Nicht aber blind, wie alle anderen. Er riskierte es, den Kopf aus der Deckung zu heben. Er wollte sehen, auf wen er schoß. Wollte unbedingt vermeiden, auch nur eine der Dronten zu treffen. Er spürte jetzt eine maßlose Wut in sich und war entschlossen, diesen verfluchten französischen Wichser und seine Crew umzulegen. Und obgleich Stransky in dieser Runde natürlich der absolut unerfahrenste Schütze war, traf er. Zwei der Fallschirmjäger aus Desprez’ Team fielen um. Die anderen sahen rasch zu, sich gründlicher zu verschanzen als ihre getroffenen Kollegen, die zwar nicht tot waren, aber mit erheblichen Verletzungen auf die Seite geschafft werden mußten.
»Nicht schlecht«, meinte Steinbeck.
»Ich werde langsam zum Monster«, antwortete Stransky.
So hielten sich nun fast alle Akteure hinter Teilen der marsianischen Landschaft und der französischen Gerätschaft verborgen. Auch Stransky hatte seinen Kopf wieder hinter die Solaranlage gesenkt. Nur Spiridon Kallimachos stand genau an der Stelle, an der er den hohen Raum betreten hatte. Er war keinen Zentimeter weitergekommen.
Es war jetzt sehr still. Niemand schoß mehr. Die Dronten, die noch lebten, gaben bloß ein glucksendes Geräusch von sich. Die Frau, die Palanka hieß, blickte fassungslos hinüber zu Kallimachos. Sie war sich sicher, mehrere äußerst präzise Schüsse auf den Griechen, auf dieses schwer zu verfehlende Fleischpaket abgegeben zu haben. Und dennoch stand der Mann aufrecht und lebendig vor der Öffnung, aus der er gekommen war. Sein Schnaufen war jetzt praktisch das heftigste Geräusch am Ort.
Desprez hatte also recht behalten. Man konnte diesen Mann nicht umblasen. So wie Steinbeck damit recht behalten hatte, daß es besser wäre, die Angelegenheit auf später zu verschieben. Die Pattsituation hatte sich nur noch verfestigt. Und dafür – um eine miserable Ausgangslage noch miserabler zu machen – hatten eine ganze Menge Dronten sterben müssen. Ein ziemlich typisches Resultat menschlicher Intervention. Da konnte man sich wirklich fragen, ob es denn so schrecklich wäre, würden wieder ein paar griechische Götter das Kommando übernehmen, Strafen verteilen und Schicksale ordnen.
Endlich war es so weit, daß sich Kallimachos in Bewegung setzte. Er schien jetzt erledigt wie beim ersten Mal, als Steinbeck ihn gesehen hatte. Hier aber mußte er ohne ein Wägelchen auskommen, konnte sich allein auf seinen Stock stützen, den er mit beiden Händen umklammerte. Immerhin gingen die lebenden Dronten zur Seite, so daß er bloß den toten auszuweichen hatte. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis er bei Steinbeck und Stransky angelangt war. Man hätte in der Zeit die gesamte Munition an ihn verschwenden können. Aber niemand wagte noch den Versuch, diesen Mann töten zu wollen. Wobei auch hier der Irrtum vorlag – bei Palanka und den anderen, nicht bei Desprez, der es besser wußte –, Spiridon Kallimachos sei unverwundbar, ein merkwürdig verunstalteter Siegfried, oder noch besser Achilles. Aber so war es eben nicht, Kallimachos war durchaus verwundbar, zudem kränklich, wenn nicht schwerkrank, wie man ja auch deutlich sehen konnte. Doch für die meisten Menschen war die Vorstellung einer zauberischen Unverletzlichkeit sehr viel eher denkbar, als daß sich Projektile, Feuer, die Splitter von Granaten, explodierendes Material,
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