Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
den Käfer gekommen. Auf den Schwarzkäfer der Namib-Wüste, welcher von der Maxime lebt, daß es keinen Ort gibt, an dem man nicht auf Wasser stößt. Man muß halt nur richtig hinsehen. Beziehungsweise sich zur rechten Zeit richtig positionieren. Genau das tut dieser fünf Zentimeter große Käfer, indem er sich frühmorgens auf den Gipfel irgendeiner Düne stellt, einen Kopfstand vollführt, die Deckel seiner Flügel ausbreitet und die feuchte Luft auffängt, die es vom Meer herweht und die eben auch an diesem Käfer vorbei muß. Der Dunst kondensiert am Käferkörper, bleibt tröpfchenweise an kleinen Erhebungen hängen, bildet größere Mengen und fließt über den glatten Panzer und Rillen im Gesicht des Insekts direkt in sein Maul. Einfach und effektiv. Schlaraffia im kargen Lande. Dank überzeugender Ausstattung.
Diese Schlüsselanhänger nun, die nach nichts anderem aussahen, als nach ziemlich billig hergestellten Plastikmännchen, waren in Wirklichkeit mit winzigen technischen Applikationen versehene, partiell von einem steifen Kostüm umhüllte, genetisch veränderte Exemplare jener namibischen Schwarzkäferart. So hatte man etwa die wasseranziehenden Flügeldeckel stabilisiert, ein klein wenig vergrößert und optisch in Fledermausarme verwandelt. Nichtsdestotrotz waren sie noch immer imstande, sogar besser denn je, lebensspendende Feuchtigkeit aufzunehmen, Feuchtigkeit, welche in erster Linie aus der Umgebung des »Wirts« beziehungsweise von ihm selbst stammte. Was kein Problem darstellt. Im »Dunstkreis« von Männern, die in die Jahre kommen, herrscht ein geradezu tropisches Klima.
Dieses Ding war ein Wunderwerk, aber kein Wunder. Es funktionierte. Es bewegte sich in einer völlig unauffälligen Weise, mit perfekten kleinen, überall haftenden Beinchen. Dazu kommt, daß die Menschen verlernt hatten, richtig hinzuschauen. Selbst Zoologen. Wer einen Batman sah, hatte keinen Blick mehr für den Käfer.
Vor allem aber überraschte die lange Lebensdauer des verwandelten Insekts. Allerdings gab es da ein Problem. Starb der Träger des Schlüsselanhängers, starb auch der Schlüsselanhänger. Der Käfer vertrocknete in seiner Batmanhülle. Die Empathie kannte keine Grenze. Was so nicht geplant gewesen war. Aber was alles war so nicht geplant?
Diese radikale Verbundenheit, die sich ergab, sobald der kleine Cyborg mal ein paar Jahre mit seinem Wirt zusammenlebte, brachte mit sich, daß nur noch drei Exemplare am Leben waren. Stranskys Modell sowie die zweier anderer Männer, welche aber noch nichts von ihrem Glück wußten. Und sich bloß wunderten über die Anhänglichkeit eines kleinen Schlüsselanhängers, der ihnen zehn Jahre zuvor, in Athen, von einem Geschäftsmann aufgedrängt worden war.
Wenn man sich nun die Frage stellt, wieso ein solches in jeder Hinsicht phantastisches Produkt nie in Serie ging, dann vor allem darum, weil sich diese Verbindung von natürlichem Schwarzkäfer und künstlicher Comicfigur nicht auf andere Kombinationen übertragen ließ. Auch hegte man nicht ganz zu Unrecht die Befürchtung, daß die meisten Menschen Probleme damit hätten, einen kleinen Käfer in ihrer Hosentasche mit sich zu führen. Einen Käfer, der eine magnetartige Mentalität besaß und ihnen überallhin folgte und den man nicht einfach abschalten konnte wie einen Rasierapparat oder eine Kaffeemaschine. Man stelle sich eine Kaffeemaschine vor, in welcher der Körper und die Seele eines treuen Cockerspaniels steckt. Natürlich, ein Insekt war kein Haushund. Trotzdem: Die Zeit war noch nicht reif dafür. Der Konsument noch nicht abgebrüht genug, sich mit einem Schlüsselanhänger anzufreunden, der aus einem lebendigen Käfer bestand, in dessen Körper man jede Menge Mikroelektronik eingepflanzt hatte. Noch dazu ein Käfer, der sich von der Feuchtigkeit ernährte, die man den lieben langen Tag von sich gab.
Darum also war es bei den zehn Prototypen geblieben. Prototypen, die im Auftrag eines Firmengeflechts entstanden waren, an dessen obersten Ende Dr. Antigonis rangierte, der ja nicht nur ein Faible für den Aufkauf französischer Fußballmannschaften besaß. Es war ein richtiges Imperium, dem Antigonis vorstand. Obgleich natürlich die Zeit der Imperien, der ökonomischen Monarchien vorbei war. Aber auch die Zeit der katholischen Kirche war vorbei, und dennoch gab es einen Papst. Einen Stellvertreter. Es brauchte solche Personen, um sich eine Vorstellung von Macht zu erhalten. Es brauchte Darth Vaders. Es
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