Lilly Höschen (01): Walpurgismord
dachte er. Ich muss die Alte einfach überrumpeln mit der Auszahlungsquittung. Mann, war das ein Zufall. Zufall? Das war Fügung, als ich gerade zu ihr kam und sie den ganzen Papierkram auf dem Tisch hatte. Entweder fünfzigtausend in bar oder Strafanzeige. Hös-chen vor Gericht. Ha! Das wird sie niemals riskieren. Dann erbt eben Amadeus, dieser Lackaffe, ein bisschen weniger.
Zur selben Zeit fuhr Hermann Rehm, der früher einmal Georg Besserdich geheißen hatte, in seinem schwarzen Mercedes von Wernigerode aus in Richtung Oberharz. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht. Seit zwei Wochen wohnte er am östlichen Harzrand und fuhr fast täglich diese Strecke, um alles vorzubereiten für ein großartiges Walpurgisfest. Die Sache mit dem Pater war ja schon spektakulär gewesen. Aber was morgen bevorstand, würde alles in den Schatten stellen. An Walpurgis tanzen die Hexen mit dem Teufel. Und manchmal wird dabei eben auch eine Hexe verbrannt. Er lächelte bei dem Gedanken. Und auch sonst war er bester Laune und freute sich an der herrlichen Landschaft. Die Wälder waren aus dem Winterschlaf erwacht, die Fichten hatten ihren Mantel aus Schnee abgeworfen, und ganz zaghaft sah man an den Laubbäumen das erste Grün sprießen, was ja im Harz immer etwas länger auf sich warten lässt. Da war kein Platz mehr für Hexen und Teufel. Die hatten sein Leben bisher nur verdriest. Jetzt kam die Zeit der Maikönigin. Und manchmal musste man dieser eben auf die Sprünge helfen, indem man die Hexen verbrannte.
Goslar und Lautenthal, 29. April 2011
»Kriminalpolizei, Berger, guten Tag.«
»Hier ist Ilona Rasche in Lautenthal. Bin ich jetzt mit jemandem verbunden, der den Fall der toten Frau Gutbrodt bearbeitet?«
»Jawohl.«
»Hören Sie, ich bin gerade erst von einem langen Amerika-Aufenthalt zurückgekommen und habe jetzt erfahren, dass Frau Gutbrodt ermordet wurde. Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht und wo ich anfangen soll. Auf jeden Fall steht noch das Auto von Frau Gutbrodt in meiner Garage.«
Jetzt läuteten alle Alarmglocken bei Gisela.
»Frau Rasche, das beste wird sein, ich komme gleich bei Ihnen vorbei. Dann können Sie mir alles in Ruhe erzählen. Bitte sagen Sie mir noch Straße und Hausnummer, dann bin ich in zwanzig Minuten bei Ihnen.«
Es war gegen 15 Uhr, als Gisela und Kommissar Schneider ihren Wagen im Bischofstal vor einem alten Haus parkten, das schon bessere Zeiten erlebt hatte. Frau Rasche öffnete sofort und führte die beiden in ein kleines Wohnzimmer, in dem es trotz offener Fenster nach abgestandener Luft roch. Frau Rasche war eine rundliche Dame von Ende vierzig und machte einen kopflosen Eindruck.
»Ich bin noch gar nicht ganz da. Dieser Jetlag macht mir zu schaffen. Und dann komme ich hier an und erfahre, dass meine Freundin Rita Gutbrodt nur einen Tag, nachdem ich abgereist bin, ermordet wurde. Mein Gott!«
Sie schluchzte und hielt sich die Hand vor die Augen, während Gisela sagte:
»Das muss ein Schock für Sie sein. Es tut mir sehr leid. Beruhigen Sie sich erst mal, und dann müssen wir Ihnen einige Fragen stellen.«
»Ja, natürlich. Es geht schon wieder.«
Nun schaltete sich Schneider ein: »Frau Rasche, Sie sind demnach am 11. Juli vergangenen Jahres nach Amerika gereist?«
»Ja, genau. Meine Tochter erwartete ein Kind, und ich wollte bei ihr sein. Im übrigen wohne ich ja bereits ganz da. Ich bin heute nur noch mal zurückgekommen, weil es mit dem Verkauf des Hauses immer noch nicht geklappt hat. Ich muss hier noch mal mit dem Makler sprechen und einiges erledigen, und dann fliege ich wieder zurück.«
»Und Frau Gutbrodt hat, nachdem sie ihren Mann verließ, bei Ihnen gewohnt?«
»Richtig. Sie kam hier eines nachmittags an, war total aufgewühlt und bat mich um Unterschlupf. Ich war gerade mit meinen Reisevorbereitungen beschäftigt. Und als dann der Tag meiner Abreise kam, wollte sie auch weg. Allerdings erhielt sie am Tag vorher einen Anruf von ihrem Geliebten, diesem Maximilian Schmecke. Mit dem wollte sie sich am nächsten Abend treffen. Also habe ich gesagt, sie soll ruhig noch einen Tag länger bleiben und den Schlüssel dann in den Briefkasten werfen.«
»Sie wollte sich also am 12. Juli mit Herrn Schmecke treffen?« fragte Schneider ganz verdutzt.
»Ja. Sie wollten sich aussprechen und danach wollte sie über ihre Zukunft entscheiden.«
»Wissen Sie, wo sie sich treffen wollten?«
»Ja, auf dem Schulberg, oben in der Schutzhütte.«
Nun sahen Gisela und ihr
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