Lilly Höschen (01): Walpurgismord
Lokal in der Altstadt auf, bestellten Bier und Schnitzel und Huber fragte: »Na, wie ist Ihr Eindruck?«
»Es ist völlig klar, dass Schmecke die alte Dame erpresst oder genötigt hat. Sie ist eine wohlhabende Frau. Ich kenne Fräulein Höschen mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie keine Märchen erzählt. Für diese Sache werden wir ihn drankriegen. Was den Mord an Frau Gutbrodt betrifft, da bin ich mir mehr als unsicher. Das passt einfach nicht zu ihm. Vor allem dieses Theatralische. Warum begnügt er sich nicht damit, die Frau umzubringen? Warum schafft er sie nicht weg? Warum nimmt er Mühe und Risiko auf sich, sie im Garten von Fräulein Höschen zur Schau zu stellen? Das trifft auf unseren Freund Georg Besserdich zu.«
»Da haben Sie natürlich Recht. Also, schnappen Sie ihn.«
Das Essen wurde gebracht. Aber bevor Schneider sich dem Schnitzel widmete, schaute er nachdenklich drein und sagte:
»Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Morgen ist Walpurgis. Es war auch Walpurgis, als die Frau von Georg Besserdich verschwand. Wir sollten darauf gefasst sein, dass unser Täter sich morgen wieder meldet. Denn offenbar hat er ja etwas übrig für symbolträchtige Handlungen und Effekte. Aber das ist nur so eine Idee. Nun, ich werde morgen jedenfalls trotz meines freien Tages im Büro sein.«
»Tja, ich denke, ich schaue morgen früh auch mal bei Ihnen vorbei. Ansonsten können Sie mich auch das ganze Wochenende über erreichen. Und jetzt erstmal guten Appetit.«
Lautenthal, 30. April 2011 (Walpurgis)
Am Tag zuvor hatten Jugendliche auf dem Bergfestplatz Hecke, trockene Fichtenzweige und Weihnachtsbäume, die nicht dem Osterfeuer zum Opfer gefallen waren, zusammengetragen und zu einem großen Scheiterhaufen aufgetürmt. Heute abend würde hier ein buntes Treiben herrschen. Jede Menge als Hexen und Teufel verkleidete Leute würden ihren Spuk machen. Es würde Bier fließen und Schnaps angesichts der recht kühlen Temperaturen. Und um Mitternacht würde dann das große Feuer entfacht werden. Eine Hexe aus Stroh musste verbrannt werden und die Maikönigin würde herrschen als Symbol, dass nun unweigerlich der Frühling auch im Harz Einzug hielt.
Im Morgengrauen hielt ein schwarzer Mercedes auf dem Bergfestplatz. Ein Mann stieg aus, ging zum Feuerplatz und machte sich an dem aufgestapelten Brenngut zu schaffen. Nach zehn Minuten war er fertig, kam zurück zum Wagen und öffnete die Hintertür. Es war eine recht schwere Last, die er da herauszog: ein grüner Schlafsack mit Inhalt. Er legte ihn sich über die Schulter und wankte auf den Stapel mit Brenngut zu, verschwand kurz darin und kam ohne den Schlafsack zurück. Danach stapelte er sorgfältig wieder alles so, wie es vorher war, ging zum Auto, drehte sich noch einmal um, atmete tief durch und fuhr lächelnd davon.
Goslar, 30. April 2011 (Walpurgis)
Kurz nach acht Uhr, Gerald Schneider hatte sich gerade die erste Tasse Kaffee geholt, betrat ein uniformierter Polizist sein Büro.
»Guten Morgen. Sind Sie Hauptkommissar Schneider?«
»Guten Morgen. Ja, der bin ich.«
»Ich habe da einen Mann, den Sie sich mal ansehen sollten. Jemand ist ihm in die Seite seines Mercedes gefahren, und er wollte gar keine Polizei holen, obwohl der Schaden erheblich ist. Der andere hat uns dann trotzdem gerufen, und der Typ kam mir irgendwie bekannt vor. Außerdem ist ihm bei dem Aufprall die Perücke verrutscht. Verletzt ist er nicht. Seine Papiere sind zwar in Ordnung, aber ich weiß nicht.«
»Sagen Sie doch einfach, was Sie vermuten.«
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass es der Mann sein könnte, den Sie mit dem Phantombild suchen.«
»Wo ist er?«
Schneiders Herz fing an zu rasen und eine Gänsehaut bemächtigte sich seines Rückens.
»Ich kann ihn zu Ihnen bringen. Ein Kollege ist bei ihm auf dem Flur.«
»Herein mit ihm.«
Nach einer halben Minute betrat Georg Besserdich das Zimmer, geleitet von den beiden Polizisten.
»Guten Tag, Herr Besserdich«, sagte Schneider.
Der Mann nickte freundlich und antwortete: »Hallo, Herr Kommissar. Schön, dass wir uns mal persönlich kennenlernen.«
»Sie geben also zu, dass Sie Georg Besserdich sind?«
»Ich war Georg Besserdich. Seit etlichen Jahren heiße ich Hermann Rehm. Aber das ist nicht so wichtig. Von mir aus sagen Sie ruhig Besserdich zu mir.«
»Gut, Herr Besserdich. Haben Sie bei dem Unfall irgendwelche Blessuren davongetragen? Brauchen Sie einen Arzt?«
»Aber nein. Das war doch nur Blech. Ich
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