Lilly Höschen (01): Walpurgismord
war heute zu unkonzentriert in freudiger Erwartung des Walpurgisfestes.«
»Aha. Wir müssen Sie jetzt vernehmen. Möchten Sie einen Anwalt dabei haben?«
»Was soll ich mit einem Anwalt? Später vielleicht.«
Dann ließ Schneider Georg Besserdich abholen, um ihn erkennungstechnisch untersuchen zu lassen. Fingerabdrücke, Speichelprobe, Foto.
Den beiden Polizisten, die ihn gebracht hatten, schüttelte Schneider kräftig die Hand und sagte ihnen: »Sobald ich wieder vor Arbeit geradeaus schauen kann, lade ich euch zu einem tollen Essen ein. Was ihr getan habt, war einfach spitzenmäßig.«
Sie wiegelten zwar bescheiden ab, dass sie nur die Augen offen gehalten hatten, aber Schneider entgegnete: »Es gibt verschiedene Arten von Pflichterfüllung. Das, was ihr getan habt, ist die beste Art. Ich werde alles in Bewegung setzen, damit das auch von höchster Stelle so bewertet wird.«
Zufrieden gingen die beiden wieder an ihre gewohnte Arbeit. Inzwischen hatte Georg Besserdich im Vernehmungsraum Platz genommen. Nun kamen Schneider, Staatsanwalt Huber und Gisela herein und nahmen auf der anderen Seite des Tisches Platz. Schneider eröffnete die Vernehmung, nachdem er das Band eingestellt hatte:
»Herr Besserdich, es gibt verschiedene Dinge, die wir Ihnen vorhalten. Möchten Sie eine umfassende Aussage machen und uns alles erzählen, was sich in den vergangenen einundzwanzig Jahren zugetragen hat?«
»Ich habe keine Ambitionen, irgendetwas zu verschweigen.«
Georg Besserdich war an die sechzig Jahre alt. Nachdem er seine graumelierte Perücke abgenommen hatte, zeigte sich sein schütteres, graues Haupt. Er war schlank, wirkte sportlich und machte einen sympathischen Eindruck. Er war gut rasiert und trug Jeans und Pullover.
»Das hört sich gut an«, entgegnete Schneider. »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass so etwas auch vor Gericht honoriert wird.«
»Ach, das interessiert mich nicht. Es gibt Dinge, die sollte man einfach durchziehen, egal von welcher Strafe sie bedroht sind. Und es kommt der Punkt, da muss man sagen, was Sache ist. Man muss doch einfach verstehen, warum ich so gehandelt habe.«
»Gut, Herr Besserdich. Fangen wir an mit dem 30. April 1990. Exakt heute vor einundzwanzig Jahren sind Sie mit Ihrer Frau in den Harz gefahren. Sie sind dort ins Moor gegangen, um sich auszusprechen.«
»Moment, Herr Kommissar. So einfach geht das nicht. Sie müssen mich schon erzählen lassen. Sie tun ja so, als ob Sie besser Bescheid wüssten als ich.«
»In Ordnung. Dann erzählen Sie einfach, und wenn ich Fragen habe, mache ich mich zwischendurch mal bemerkbar.«
Georg Besserdich lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander und begann zu erzählen:
»Meine Frau war zuerst mit Hans Gutbrodt liiert. Hans und ich waren gute Freunde. Dann kriselte es in ihrer Beziehung und sie verliebte sich in mich. Ich hatte mich schon längst in sie verguckt, wäre aber nie auf die Idee gekommen, sie Hans abspenstig zu machen. Aber nachdem die beiden ihre Beziehung beendet hatten, war der Weg für mich frei. Und schließlich haben wir auch geheiratet. Wir bekamen einen Sohn und hatten ein schönes Leben. Ich habe den Jungen geliebt. Ich habe alles für ihn getan. Natürlich gab es auch in unserer Ehe ein paar Mal Streit. Aber zeigen Sie mir irgendeine Beziehung, wo das nicht der Fall ist.«
Schneider nickte wohlwissend und lächelte dabei, während Georg Besserdich fortfuhr:
»Für mich war diese kleine Familie wie ein Fels in der Brandung. Und dann, eines Tages, aus heiterem Himmel, musste ich erfahren, dass Amadeus gar nicht mein Sohn ist, dass meine Frau es mit meinem ach so guten Freund Hans getrieben hatte. Ich wusste, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu zeugen, für mich nicht sehr groß war. Ich hatte mich untersuchen lassen, nachdem wir es zunächst vergeblich versucht hatten. Aber es bestand eine gewisse Chance. Und als sie dann schwanger war, habe ich nicht eine Sekunde lang daran gezweifelt, dass es nicht mein Kind sein könnte. Als ich dann die Wahrheit erfuhr, brach für mich die Welt zusammen.«
Jetzt setzte Georg sich aufrecht hin und atmete schwer.
»Kommen Sie«, sagte Schneider und goss ihm ein Glas Wasser ein.
»Trinken Sie einen Schluck Wasser.«
Dann fing er sich wieder und erzählte weiter:
»Ich hatte nie vor, sie umzubringen. Ich wollte mich von ihr trennen und sie nie wiedersehen. Dann lag sie mir in den Ohren, dass wir doch nochmal über alles sprechen sollten. Sie
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