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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Außenklos gehen! Da willst du doch nicht wirklich hin ?«
    Ihr Entsetzen war echt. Ich beschloss, ihr von dem riesigen Staatsapparat lieber nichts zu erzählen, der über jeden einzelnen DDR-Bürger wachte.
    »Sie lassen meine Familie nicht raus«, setzte ich ihr auseinander, »also muss ich rein. Ich will zu Lena, ob sie in der DDR oder in Honolulu oder sonst wo ist.«
    »Weiß sie das eigentlich?«, erwiderte meine Freundin. »Ich wette nämlich, wenn sie es wüsste, würde sie es dir ausreden.«
    »Würde sie nicht! Sie lebt schon ihr ganzes Leben lang da und hält es sehr gut aus, und überhaupt gehen mir diese ganzen Vorurteile von Leuten, die selbst noch nie dort waren …«
    »Mensch, Lilly«, sagte Meggi. »Vielleicht lassen sie dich auch nicht mehr raus.«
    Ich schluckte. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. »Und wenn schon«, antwortete ich tapfer. »Besser zusammen in der DDR als alleine hier.«
    Aber Meggi gab keine Ruhe. Am nächsten Tag schleppte sie ein dickes Buch über die deutsche Teilung an, das sie aus der Bibliothek entliehen hatte und das gespickt war mit gelben Klebezetteln an den Stellen, die ich lesen sollte. Dazu erklärte sie mir, Lena und ich seien wie die Gestalten zweier Märchen, die sich überraschend begegneten und deren Geschichten für kurze Zeit ein wenig durcheinander gerieten. Dann aber müssten wir wieder zurückkehren in das Märchen, wo wir hingehörten, erinnerten uns zwar eine Weile an eine seltsame Unterbrechung, würden aber mit der Zeit ganz sicher vergessen haben, dass alles auch ganz anders hätte sein können …
    Ich hörte mit wachsendem Erstaunen zu.
    »Ob wir im guten oder im bösen Märchen landen, ist Schicksal«, philosophierte Meggi. »Und deine momentane Verwirrung ist auch ganz normal. Aber freiwillig in das böse Märchen zu wechseln, das ist wirklich richtig bescheuert, Lilly.«
    »Lena ist kein Märchen«, sagte ich. »Was redest du bloß?«
    »Ich versuche dir ja nur zu erklären, dass du das alles in einem größeren Zusammenhang sehen musst«, erwiderte meine Freundin würdevoll.
    »Na gut«, sagte ich. »Der größere Zusammenhang ist, dass meine Familie aus der DDR stammt. Das sind meine Wurzeln, hat Mami selbst gesagt. Es mag richtig für sie gewesen sein, abzuhauen, aber ich habe jetzt den Salat, ich sitze alleine hier!«
    Ich hielt entsetzt den Atem an. Hatte ich das wirklich gerade gesagt? Es klang furchtbar und gemein und als ob ich meiner Mutter Vorwürfe machen wollte, und mir wurde beinahe schlecht, so sehr schämte ich mich für das, was ich da ausgesprochen hatte. Besonders da ich es nicht zurücknehmen konnte, da jedes einzelne Wort wahr war …
    Einen Moment sah es so aus, als sei Meggi beleidigt, dass ich sie nicht mitgezählt hatte. »Na dann«, murmelte sie.
    Mir kamen die Tränen über meinen Verrat, aber es gab kein Zurück. »Das ist wie Heimweh, Meggi. Ich will meine Familie wiederhaben!«, beschwor ich sie. »Wenn Lena da leben kann, kann ich es auch.«
    »Okay, okay«, sagte Meggi. »Ich helfe dir ja.«
    Und ich hatte mich keineswegs getäuscht: Meine Freundin war erfinderisch. Wie viele Frauen, die im Ausland leben mussten, abonnierte Meggis Mutter eine ganze Reihe so genannter Boulevardzeitschriften, um nichts von dem zu verpassen, was die heimische Prominenz in der Zwischenzeit so anstellte. Auch Meggi stürzte sich jedes Wochenende darauf; allerdings hatten es ihr weniger die Wehwehchen der Windsors und Oranjes angetan als vielmehr die Berichte, in denen Normalblütige ihre zum Teil Grauen erregenden Erlebnisse enthüllten. Meggis Lieblingsrubrik waren die Kummerkästen. Sie behauptete sogar, dass ihre Eltern sie einmal bei »Wetten, dass …?« vorgeschlagen hätten, da sie am Stil der Antworten mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit deren Autor erkennen könne.
    Für mein spezifisches Problem wählte sie Frau Irene aus. Wir hatten eine Freistunde, um uns herum wurde gequatscht und gestrickt, und nach kurzer Vorbesprechung sauste Meggis Füller auch schon zielsicher über das Blatt.
    »Sehr geehrte Frau Irene«, schrieb sie, »ich bin dreizehn Jahre alt und seit kurzem Waise. Auf Beschluss des Jugendamtes, welches mein gesetzlicher Vormund ist, lebe ich im Internat. Meine Mutter hat jedoch eine große Schwester, die mit ihrer Familie in der DDR lebt. Seit ich meine Tante vor zwei Wochen kennen gelernt habe, ist in mir der Entschluss herangereift, zu ihr in die DDR zu ziehen.«
    »Herangereift! Sehr gut!«,

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