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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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ein Geschenk machen und sie daran erinnern wollte, dass seine überwältigende Schönheit allen galt, auch jenen, die bisher noch keine Chance gehabt hatten, ihr Bewusstsein dem Umweltschutz zu öffnen. Sie schämte sich, hob die Muscheln auf und beschloss, sie Oskar und den Kindern mitzubringen. Niemals hätte sie an einem Touristenstrand so seltene Kleinode gefunden.
    Als Lilly später auf der Touristenmeile einen sehr guten Salat aß, spielte der ägyptische Kellner, der ganz wenig Englisch sprach, „Silent night, holy night“, und Lilly sang automatisch mit: „alles schläft, einsam wacht“. Als sie den Reflex bemerkte, lachte sie laut. Nein, in dieser Nacht wollte sie nicht wachen und sagte dem jungen Mann, dass er sich mit seinem Lied in der Jahreszeit geirrt hatte.
    Lea klang am Abend gut am Telefon. Sie war mit ihrer Oma im Zirkus gewesen und hatte so lange gebettelt, bis sie auf einem Kamel reiten durfte. „So wie du, Mama. Du reitest doch auf Kamelen durch die Wüste, das hat mir Ralf erzählt. Und morgen gehen wir mit Johanna, John und Nelly ins Hallenbad. Dort kann man ins Freie schwimmen und im warmen Wasser den kalten Atem sehen.“ Es war schön zu wissen, dass Lea bei ihrer Großfamilie gut aufgehoben war. Oskar konnte sie nicht erreichen. Er war mit Niklas nach Kiel gefahren und sie musste darauf vertrauen, dass es ihnen dort gut ging. Der Anwalt, für den er sich nach seiner langen Odyssee entschieden hatte, klang sehr zuversichtlich: „Wir werden es schaffen, dass die Kieler Staats­anwaltschaft Sie anhört“, hatte er zu seinem Mandanten gesagt.
    Das Meer war in dieser dritten Nacht gütig zu Lilly gewesen. Es hatte sie in den Schlaf gewiegt, und auch der Wind blies so sanft, dass sich nur die Vorhänge leise bewegten und die Tür, durch die er wehte, stumm blieb.
    Als sie am Morgen unter der Dusche stand, ging das Licht im Bad aus, und das Wasser rann nur noch in einem dünnen, letzten Strahl über ihr Haar, das sie gewaschen hatte. Lilly bedankte sich, dass sie gerade fertig geduscht hatte, und fand das Frühstück wunderbar. Vor allem, weil zum ersten Mal, seit sie in Dahab angekommen war, die Sonne schien.
    Rita empfing sie mit der kleinen Ziege, die nur drei Beine hatte. Sie lag in ihrem Arm und trank Milch aus einer Babyflasche. Sie hatte sie ihr schon beim letzten Mal vorgestellt, da war sie am Morgen zur Welt gekommen, und Rita sagte: „Ich muss mich um sie kümmern, sie ist mit ihren drei Beinchen nicht schnell genug, um bei ihrer Mutter zu trinken. Die anderen Babys stoßen sie weg. Ich war mit ihr beim Tierarzt, er sagt, er kann das vierte Bein, das am Rumpf angewachsen ist, nicht lösen.“ Besorgt fragte Lilly, die das kleine Tier sofort ins Herz geschlossen hatte: „Und, wird sie überleben?“ – „So etwas frage ich nicht“, meinte Rita. „Es gibt einen Plan, dem wird sie folgen. Jetzt lebt sie und ich unterstütze sie dabei. Sie ist sehr stark. Heute Nacht sind in dieser – für den Sinai ungewöhnlichen Kälte – zwei der kleinen Ziegen erfroren. Sie war nicht dabei. Ich werde sie von nun an immer wieder mit ins Haus nehmen, sie braucht mehr Zuwendung als die anderen.“ Sie stellte die kleine Ziege auf die Füße und umarmte Lilly. Dann sagte sie: „Schau ihr zu, sie hat einen Weg gefunden, auf ihren drei Beinen zu gehen. Sie hüpft so lange in Spiralen im Kreis, bis sie dort ist, wo sie hin will. Wer will behaupten, dass ein Leben in Spiralen nicht gut sein soll?“ Sie lachte unbeschwert: „Es ist etwas Seltsames passiert. Der Tierarzt hat mich gefragt, ob sie einen Namen hat. Ich wollte eigentlich verneinen, aber dann sagte ich zu meiner Überraschung: ‚Sie heißt Lilly.‘ In dem Moment war mir nicht klar, dass es dein Name ist. Aber er passt zu dir und zu ihr. Ihr seid beide wie die wilden Lilien. Stark und zart zugleich.“
    Lilly war überrascht. Sie hatte ihren Namen nie mit der Blume in Verbindung gebracht, aber die Idee gefiel ihr. Und dass eine dreibeinige Ziege im Sinai ihren Namen trug, passte auch. Sie lächelte Rita an und sprach nicht aus, was sie dachte: Ich stehe auch auf drei Beinen in der Welt. Auf der einen Seite muss ich für so viele Menschen sorgen, dass ich mehr als zwei Beine brauchen kann, auf der anderen Seite bin ich für die Gesellschaft nicht mehr vollständig, seit ich in

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