Lillys Weg
du deine Kraft und deine Kreativität wieder.â
17. Februar 1989
Es ist zu spät, ich habe es schon getan. Ich bin mir gefolgt. Der alten Lilly in mir, die sich, getrieben von der Gewohnheit, gut zu funktionieren, durch die intensiven Erfahrungen in Ãgypten gejagt hat. Ein Tag am Strand war mir schon zu viel und weiter gehtâs. Wohin? Bis zum Herzinfarkt?
Ich bin erschöpft, mein Körper fühlt sich an wie eine leere Hülle. Ich habe Erkenntnis mit Erholung verwechselt. Ralf hatte recht mit seinem Zorn auf mich. Ich muss endlich Verantwortung für mich selber übernehmen.
Ich sitze in meinem Büro und sollte stattdessen in Dahab am Strand liegen oder bei Rita in der Wüste auf einem Stein sitzen und einfach nur in die Luft schauen. Meine Rückkehr hatte nichts mit der Seins-Qualität zu tun, nach der ich mich so sehne und die ich bei Tjalle und Rita gespürt habe.
Lilly hörte Ralf, der von einer Pressekonferenz zurückkam. Er öffnete vorsichtig ihre Bürotür und setzte sich mit einem schuldbewussten Gesicht auf ihre Schreibtischkante: âDu weiÃt, dass es nicht meine Art ist, zu brüllen. Und dafür entschuldige ich mich. Aber ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich â¦â Lilly war froh, dass sein Ãrger verflogen war: âRalf, du hast in allen Punkten recht. Ich möchte mir für ein paar Wochen eine Auszeit nehmen. Ich kann mich nicht mehr gleichzeitig um Oskar, die Kinder und die Arbeit kümmern. Das letzte Jahr hat mich alle meine Reserven gekostet.â
Ralf war erleichtert. Für Psychologie Morgen war es ein Verlust, wenn Lilly eine Zeit lang nicht mehr schrieb. Ihr eigenwilliger Stil war unersetzlich und sie hatte eine groÃe Fangemeinde. Aber was bedeutete schon der Erfolg einer Zeitschrift, wenn es um die Gesundheit seiner besten Freundin ging?
Lilly versorgte Lea und spielte mit ihr, telefonierte manchmal von einem Hotelanschluss mit Oskar und Niklas und lag stundenlang auf ihrem weiÃen Sofa und dachte ausführlich über das Wort âSelbstfürsorgeâ nach. Ralf hatte ihr letzte Woche im Büro in seinem Zorn an den Kopf geworfen, dass sie keine Ahnung hätte, was das ist.
21. Februar 1989
Es stimmt. Ich weià nicht, was es bedeutet. Ich kenne das Wort âSelbstversorgungâ. Es ist mir vertraut. Es klingt nach Selbstversorgerhütte und nach Ãberleben. Das kann ich gut. Aber Selbstfürsorge? War ich jemals fürsorglich zu mir selber? Sicher nicht. Ich kritisiere mich scharf, ich beute mich aus, ich stelle das Wohlbefinden von allen anderen vor meines. Das hat meine Mutter ihr Leben lang gemacht. Kann man es lernen, gut zu sich selber zu sein? Ralf hat es gelernt. Nicht ganz freiwillig. Nach seiner Krebsdiagnose vor mehr als zehn Jahren hat er sein ganzes Leben umgekrempelt. Macht täglich Yoga, meditiert, reinigt seinen Körper und seinen Geist immer wieder und sorgt dafür, dass seine Beziehung zu Chris in Balance ist.
Aber wie soll ich zu mir selber fürsorglich sein, wenn Oskar und die Kinder mich brauchen? Ich nehme das Wort âSelbstfürsorgeâ, packe es in eine schöne Schachtel und lege es ganz hinten in meinem Gedächtnis ab. Eines Tages, verspreche ich mir, werde ich mich darum kümmern. Eines Tages, wenn unser Leben wieder normal ist.
In dieser Nacht träume ich. Ich sehe ein kleines Mädchen. Es hat ein schmales, ernstes Gesicht und läuft über eine Wiese. Es ist vielleicht fünf Jahre alt und trägt ein hübsches, weiÃes Kleid mit Blumenmuster. Es fällt hin und ich beobachte, dass es mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen bleibt. Ich kenne es nicht und ich habe keine Zeit, es aufzuheben. Ich stehe noch immer am Rand der Wiese und warte, dass seine Eltern kommen. Sein Kleidchen ist aus teurem Stoff, es kann nicht verwahrlost sein. Es sieht mich aus flehenden Augen an. Niemand kommt. Ich gehe hin, hebe es auf und setze es auf meinen SchoÃ. Und plötzlich spüre ich, dass es mir gehört. Es hat auf mich gewartet.
Ich hole die Schachtel mit dem Wort âSelbstfürsorgeâ wieder aus der hintersten Ecke hervor. Ich kann nicht warten, bis Oskars Probleme gelöst sind. Ich muss mich um das kleine Mädchen in mir kümmern. Aber wie?
Lilly hielt es nicht lange auf dem weiÃen Sofa aus. Ostern nahte und damit die Planung für ein Wiedersehen mit Oskar und Niklas. Sie war mit dem Wort âtunâ und nicht
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